Interview zur Jugendarbeit in Bad Godesberg Jugendgewalt erkennen und verhindern

Die tödlichen Attacke auf Niklas P. hat die Diskussion über Gewaltprävention in Bad Godesberg angefacht. Der Bonner Jugendamtsleiter Udo Stein setzt auf eine Mischung verschiedener Angebote.

 Jugendsamtleiter Udo Stein (vorne, 2. von links) kam Anfang Juni zur Eröffnung des neuen Bad Godesberger Jugendtreffs „One World Café“ im Hansa-Haus.

Jugendsamtleiter Udo Stein (vorne, 2. von links) kam Anfang Juni zur Eröffnung des neuen Bad Godesberger Jugendtreffs „One World Café“ im Hansa-Haus.

Foto: Ronald Friese

Wie haben Sie auf den Tod von Niklas P. reagiert?

Udo Stein: Da sind natürlich Trauer und Entsetzen die Gefühle. Ich bin menschlich tief betroffen.

Stein: Nein, eben nicht. In der polizeilichen Statistik ist die Gesamtkriminalität in Bad Godesberg 2015 gesunken. Auch aus Sicht der Jugendgerichtshilfe sind die Zahlen im Bereich Körperverletzung stark gesunken, in Godesberg von 399 im Jahr 2008 auf 237 Fälle letztes Jahr. Wobei das natürlich 237 Delikte zu viel sind, das ist klar. Trotzdem: Auch die allgemeine Straffälligkeit Bonner und Bad Godesberger Jugendlicher ist deutlich geringer geworden.

Stein: Diese Polizeizahlen kann ich aus Sicht des Jugendamts nicht beurteilen. Wenn es sich hier um Jugendliche handelt, nehmen wir uns natürlich gemeinsam mit der Polizei, jeder mit seinen Methoden, dieser jungen Menschen an. Unser Ziel ist immer, ihnen zu helfen und Straffälligkeit zu verhindern.

Stein: Die Ursachen für gewalttätiges Verhalten sind sehr vielfältig. Sicher stimmt, dass, wer einen Schulabschluss hat und einen Beruf erlernt, seltener kriminell wird. Zu Bildung zu verhelfen, ist also das Credo in der Jugendhilfe. Aber kriminelle Handlungsmuster werden auch gelernt. Der Mensch wird nicht gewalttätig geboren.

Stein: Auch da gibt es Unterschiede. Wurde das in der Familie vorgelebt? Hat es im Jugendalter entsprechende Cliquen gegeben? Oder haben diese jungen Menschen gar nicht erst gelernt, Bindungen zu entwickeln? In allen Fällen ist es für die Jugendhilfe unendlich schwierig, das wieder aufzuarbeiten, und überhaupt erst einmal eine Vertrauensbasis herzustellen.

Stein: Das kann ich nicht generell beantworten. Wir schauen uns jeden Einzelfall an und versuchen, mit jedem einzelnen jungen Menschen zu arbeiten und etwas zu verändern. Wenn da aber von der anderen Seite kein Einsatz kommt, können auch wir kaum etwas bewirken.

Stein: Wir alle, alle Teile der Gesellschaft. Wir sollten nicht mit dem Finger auf diese Jugendlichen zeigen, sondern uns vor Augen halten: Wir haben Anteil daran, dass sich junge Menschen so entwickeln. Wir müssen vorleben, wie sie miteinander umzugehen haben.

Wie arbeitet Jugendhilfe denn mit gefährdeten Jugendlichen?

Stein: Jugendarbeit ist Beziehungsarbeit. Unsere Sozialpädagogen schaffen mit viel Geduld und hohem Einfühlungsvermögen eine Vertrauensbasis, die es ermöglicht, in die tieferen Bereiche der Persönlichkeit vorzudringen. Ich habe allerhöchsten Respekt vor dieser Arbeit. Am Ende muss man natürlich auch nüchtern sehen: Wir werden nicht jeden erreichen und verändern. Wir lassen trotzdem nicht nach und versuchen es immer wieder. Aber bei Straftaten muss die Polizei übernehmen.

Stein: Breit gestreut. Wesentlich im Einsatz sind sie in den Jugendzentren, in die junge Leute freiwillig und unverbindlich kommen können. Hier ist die Chance hoch, dass Sozialpädagogen viele junge Menschen wirklich erreichen, also etwa im städtischen K 7 in Pennenfeld. In freier Trägerschaft gibt es weitere elf Angebote, etwa das Rheingold in Mehlem oder den offenen Treff auf dem Heiderhof. Dazu kommen drei mobile Anlaufstellen. Leider macht jetzt das Mehlemer Jugendzentrum am Domhof wohl zu.

Stein: Ja, da starten wir einen neuen Versuch. Es bietet einen Ort, wo Jugendliche einfach mal abhängen und chillen können. Teil des Projekts ist aber auch die aufsuchende Arbeit. Sozialpädagogen gehen also raus in die Godesberger Innenstadt und sprechen Jugendliche an, wo sie sind, im Kurpark zum Beispiel. Wir wollen das bis zum Panoramapark hin entwickeln. Solche Zugänge müssen wir weiter schaffen.

Stein: Ob rein kirchliche Angebote muslimische Jugendliche erreichen, dazu liegen mir keinerlei Informationen vor. Insgesamt sagen uns aber die Rückmeldungen aller Jugendzentren, die die Stadt mitfinanziert, dass muslimische Jugendliche der Ortsteile diese Angebote genauso häufig nutzen wie die anderen jungen Bewohner.

Stein: Unbedingt. Neben vielen reinen Schulsozialarbeitern sind 25 in ganz Bonn sozialräumlich im Einsatz. Gerade sie sind von ihrer Wirkung her ein Segen und werden bis 2017 über das Teilhabepaket finanziert. Wir werden diskutieren müssen, ob die erfolgreiche Schulsozialarbeit über 2017 hinaus fortgesetzt wird.

Stein: Da widerspreche ich. Eine Rotstiftpolitik im Jugendhilfebereich hat es nicht gegeben. Es sind hier in den letzten Jahren weder in Bad Godesberg noch im Stadtgebiet Leistungen gekürzt worden. Im Gegenteil: Das Budget des Jugendamts weist über viele Jahre einen Trend nach oben auf. Wir haben immer wieder offene Jugendarbeit oder Hilfen zur Erziehung weiter ausgebaut.

Stein: Zum Einen nehmen wir ein in Tannenbusch erfolgreiches Projekt auch für Bad Godesberg auf: Wir werden gemeinsam mit Polizei und Schulen Fallkonferenzen zu auffällig gewordenen Jugendlichen machen, Erkenntnisse zusammentragen und daraus Strategien entwickeln, wie wir mit diesen jungen Menschen umgehen.

Stein: Genau, und zwar zusammen mit einem externen Träger oder einer Einrichtung. Mit diesem auf die Zukunft ausgerichteten Projekt wollen wir in die Kindergärten, Schulen und Jugendeinrichtungen direkt hineinwirken. Alle Akteure sollen in die Lage versetzt werden, sich entwickelnde Jugendgewalt frühzeitig aufzufangen und zu verhindern.

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