Medizintourismus in Bonn Ein Geschäft mit Risiken und Nebenwirkungen

BAD GODESBERG · Wer sind sie? Wo wohnen sie? Wer reist mit ihnen? Wer verdient an ihnen? Es gibt kaum einen Wirtschaftszweig in Bonn, der so unübersichtlich ist, wie der Medizintourismus.

Die aktuellsten Zahlen, die die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg ausgewertet hat, stammen aus 2013 und erfassen nur die stationären Aufenthalte. Es dürften jedoch weit mehr als die genannten 900 Medizintouristen nach Bonn kommen, denn alleine die Botschaft von Katar spricht von 190 Patienten im Monat. Ebenso viele sollen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten anreisen.

"Leider liegen keine belastbaren beziehungsweise offiziellen Daten zur Anzahl internationaler Gastpatienten in Bonn vor, da das Statistische Landesamt solche Zahlen nur sehr ungenau erfasst", sagt Marc Hoffmann vom Presseamt der Stadt. Es gebe "keine anerkannte Definition des Begriffs Medizintourismus und auch keine Meldepflicht in Deutschland".

Hinzu kommt: Manche Kliniken schauen auf die Konkurrenz und veröffentlichen nur ungern Zahlen zum Geschäftsfeld Gastpatienten. Während die Pressestellen der öffentlichen Bonner Krankenhäuser eine GA-Anfrage ausführlich beantworteten, gab es aus einer Privatklinik zum Beispiel den Hinweis, dass "keine Auskünfte über unsere Patienten und Angehörigen an Dritte weitergegeben" werden.

Andere antworteten gar nicht. Ein Arzt, der selbst nur am Rande mit dem Medizintourismus zu tun hat, schrieb dem GA: "Zu diesem Thema gibt es ausgesprochene und nicht ausgesprochene Wahrheiten, ich hoffe Sie stoßen bei Ihren Recherchen auf alle. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg."

Nach dem Regierungsumzug war Gesundheit eine der Säulen, die Bonn in Zukunft tragen sollten. Der Medizinstandort sollte sich dabei auch international profilieren. Die Kontakte liefen vor allem über die in Bonn verbliebenen Botschafts-Außenstellen. Verschiedene Bonner Kliniken haben inzwischen selbst internationale Büros oder stellen Dolmetscher zur Verfügung. Außerdem nehmen sie "auf die kulturellen Besonderheiten" ihrer Gastpatienten Rücksicht.

Zuletzt waren vor allem die negativen Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt Thema. Wie Pilze sind in den vergangenen Jahren Agenturen aus dem Boden geschossen, die in der hotelähnlichen Vermittlung von Wohnungen offenbar ein lukratives Gewerbe gefunden haben.

Kenner der Szene gehen davon aus, dass auch sie nur Teil eines umfassenderen Geschäftsmodells sind, bei dem Patienten bereits in ihren Heimatländern als Kunden akquiriert und mit einem "Rund-um-Sorglos-Paket" geködert werden - von Vermittlern, die eine Art Schlepper des Gesundheitswesens sind.

Krankenhäuser machen "keine aktive Akquise"

Von den befragten Kliniken gab keine an, mit privaten Agenturen oder Vermittlern zusammenzuarbeiten. Professor Wolfgang Holzgreve, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Bonn, sagte: "Wir kümmern uns nur um die medizinische Versorgung unserer ausländischen Patientinnen und Patienten, wie auch der inländischen, und arbeiten bewusst nicht über bindende Verträge mit einer oder mehreren Agenturen zusammen, da wir keine aktive Akquise betreiben.

"Das Bonner Gemeinschaftskrankenhaus hat "langjährige persönliche Kontakte, die sich zum Teil aus der Hospitation von Gastärzten ergeben". Zum Teil kämen Gäste über das russische Konsulat. Waldkrankenhaus und Johanniter-Krankenhaus werben laut Sprecher Ralf Mader "nicht aktiv um Medizintouristen. Diese werden meist über die Konsulate an unsere Häuser vermittelt." Im Mittelpunkt stehe die umfassende Versorgung der Patienten in der Großregion Bonn.

Ergebnis der Botschaftsgespräche von Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch war jedoch auch, dass "mit Hilfe von Service-Dienstleistern beziehungsweise in Eigenregie organisierte Aufenthalte" inzwischen keine Seltenheit mehr sind, Listen mit kompetenten Beratern und TÜV-Zertifikate sollen den Patienten helfen, sich im Dschungel der Angebote zurechtzufinden.

Gerade auf dem Wohnungsmarkt wird den Anbietern oft Wucher vorgeworfen, doch es kommt auf die Perspektive an. So kann eine Wohnung für 200 Euro am Tag für eine Familie günstiger sein als zwei Hotelzimmer. Ein weiterer Grund warum Medizintouristen auf möblierte Wohnungen ausweichen, ist, dass die Bonner Hotels zu manchen Terminen komplett ausgebucht sind.

"Viele unserer Patienten möchten gerne ins Hotel, aber sie müssten zwischendurch immer wieder für einige Tage ausziehen", sagt Bilal Itani aus dem Medizinischen Büro der Botschaft von Katar, das seinen Sitz in der Bonner Außenstelle hat. Über die Preise beklage sich niemand, berichtet Itani. Er sieht ein anderes Problem: Es gebe nicht genug Angebot an geeigneten Wohnungen.

"Auch die Botschaft hat Probleme"

Er hat "sehr großes Verständnis für die älteren Bewohner, die in ihren vier Wänden ihre Ruhe haben wollen". Deshalb wäre Itani für den Bau eines "Boarding Houses", das nicht nur Appartments, sondern auch die nötige Infrastruktur mit Restaurants und Apotheke bereithält.

Probleme sieht der gebürtige Libanese, der seit mehr als 30 Jahren in Godesberg lebt, vor allem in den Vermittlern, die auf dem Wohnungsmarkt wie Zwischenhändler fungieren. Oder in den kleinen weißen Zetteln, die neben dem Angebot "Wohnung zu vermieten" nur eine Handynummer enthalten. "Auch die Botschaft hat Probleme, wenn wir nicht wissen, wer dahinter steckt", so Itani. Er wäre dafür, gemeinsam gegen die schwarzen Schafe vorzugehen und einheitliche Regeln und Formulare für die Vermietung zu schaffen.

Das Spektrum der Klagen, die bei Bürgerversammlungen und in Bürgeranträgen laut werden, reicht von überfüllten Mülltonnen über verschmutzte Treppenhäuser bis hin zu nächtlichem Lärm, der über das erträgliche Maß hinaus geht. Als besonders betroffen gelten in Bad Godesberg Wohnanlagen an Burg-, Winter- und Quellenstraße.

Insgesamt soll der Markt bereits mehr als 100 Wohnungen umfassen. Groß ist die Sorge, dass sich ein Trend verstärken könnte, der zumindest in einigen Wohnblocks zuletzt deutlich zu erkennen war: Dass Alteingesessene Bad Godesberg verlassen, und der frei werdende Wohnraum dann erneut von Agenturen aufgekauft wird.

Es gibt Investoren, die dagegen halten. Unternehmer Lutz Runkel, der ein Geschäftshaus am Michaelshof neben den Kammerspielen in Wohnungen umbaut, hat einer Nutzung für Medizintourismus eine Absage erteilt: "Eine solche Mischung halte ich nicht für praktikabel, da muss man sich entscheiden." Ein anderer Immobilieneigentümer, der nicht genannt werden möchte, will gewerbsmäßige Kurzzeitvermieter auf dem Klageweg loswerden, um langfristig Ruhe in die Hausgemeinschaft zu bringen.

"Veränderte oder auch neue Bedürfnisse der Kunden"

Die Aussagen der Kliniken zur Wohnungsfrage sind unterschiedlich. Einige halten die Unterbringung von Begleitpersonen für Privatsache, andere arbeiten bereits mit Hotels zusammen. Die Stadt Bonn will Medizintouristen verstärkt auf die regulären Unterkunftsmöglichkeiten in Bonn aufmerksam machen.

Auf die Frage, ob wegen des Medizintourismus neue Infrastruktur geschaffen werden muss, antwortet das Presseamt: "Das Beherbergungsgewerbe wird sicherlich früher oder später auf veränderte oder auch neue Bedürfnisse der Kunden reagieren und entsprechende Angebote hervorbringen. Neben Gästehäusern und regulären Ferienwohnungen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise auch räumlich größere Unterkünfte für längerfristige Aufenthalte denkbar."

Konkrete Pläne eines Bauherrn gibt es bisher nicht. Alleine mit den Bestimmungen der Zweckentfremdungssatzung, wie dies Kommunalpolitiker erhofft hatten, scheint dem Schattenmarkt nicht beizukommen zu sein.

In Bad Godesberg wird der Medizintourismus nicht nur wegen der Wohnungsvermittler zunehmend kritisch gesehen. Die Zahl der vollverschleierten Frauen im Straßenbild hat sich in den vergangenen Jahren erhöht. Zugenommen haben auch die arabischen Schriftzeichen an Geschäften. Andere beklagen rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr.

Es gibt Bürger, die sich in der Innenstadt fremd fühlen. Manchmal kocht die Stimmung über, wie bei einer ansonsten sachlichen Podiumsdiskussion der Arbeitsgemeinschaft für Bildung und Kultur, als ein Zuhörer berichtete, dass andernorts Schweine durch Hotelflure getrieben würden, "damit diese nicht mehr von Orientalen besucht werden". Es gab kurz Applaus.

Das Welcome-Centre des Vereins "Welcome to Bad Godesberg" in der Arcadia-Passage bildet hier eine Art Gegengewicht. "Wir wollen in einen Dialog treten und Probleme nach Möglichkeit beheben", sagte der Gründungsvorsitzende Josef Engel. Bad Godesbergs Bezirksbürgermeisterin Simone Stein-Lücke (CDU) hatte die Gründung des Vereins initiiert.

Versehen mit einem Höchstmaß an interkultureller Kompetenz sollen seine Mitarbeiter als Scharnier zwischen alteingesessenen Bürgern und Gastpatienten wirken; also an einer Stelle, die oftmals bereits an der Sprachbarriere scheitert. Bisher gab es vor allem Gespräche mit Godesberger Bürgern, die ihre Probleme schilderten.

"Das sind berechtigte Anliegen", sagt Engel. Der Verein wirbt für einen respektvollen Umgang miteinander, will aber auch ganz konkret mit Aufklebern für Mülltonnen und arabischen Informationsblättern alltägliche Ärgernisse beseitigen.

Botschaft: Verschleierung ist Privatsache

Auch die Bezirksvertretung Bad Godesberg setzte auf den Dialog, als sie in ihrer jüngsten Sitzung einen Antrag des Bürger Bunds zur deutschen Beschriftung von Geschäften ablehnte. Das Godesberger Stadtmarketing und die Integrationsbeauftragte der Stadt sollen Überzeugungsarbeit bei den arabischen Geschäftsleuten leisten, so die Idee. Was Kleiderfrage und Verschleierung angeht, gibt zumindest die Botschaft von Katar keine Empfehlungen ab.

Wie jemand seine Religion ausübe, das sei Privatsache, so Bilal Itani. Bei Behandlungen, bei der Einreise am Flughafen und in den Reisepässen, die früher keine Fotos hatten, zeigten alle Frauen ihr Gesicht. "Wenn ich aber jemandem nur ein Eis verkaufe, muss ich nicht wissen, wer das ist", findet der Botschaftsmitarbeiter.

Die Geschäftsleute in Bad Godesberg haben sich längst auf die arabische Kundschaft eingestellt. So soll es hier die größte Rolex-Auswahl Bonns geben. In einer Parfümerie - und in Apotheken ohnehin - wird man auch auf Arabisch beraten. Zur Frage, wie wichtig diese Kundschaft für den Umsatz ist, möchte sich niemand äußern. Vielleicht, weil sich die Haltung etlicher Godesberger gegenüber den Medizintouristen gerade wandelt.

Im Rewe-Markt im Altstadtcenter gibt dreisprachige Beschriftungen über den Gängen: Deutsch, Englisch, Arabisch. "Unsere Supermarkt-Verantwortlichen haben Spielräume, Warensortimente und Markteinrichtung den Bedürfnissen des Quartiers anzupassen", so die Antwort aus der Unternehmenskommunikation der REWE Group.

Die Kliniken profitieren offenbar, wie erhofft, von Bonns Vergangenheit. So teilte das Gemeinschaftskrankenhaus mit, der internationale Ruf habe sich über Jahrzehnte entwickelt: "Schon zu Hauptstadtzeiten vertrauten ausländische Diplomaten und Politiker sowie deren Familien unseren Ärzten. Das hat sich nicht verändert."

Durch die Öffnung Osteuropas und die immer größer werdende Globalisierung nehme die Reisetätigkeit immer weiter zu. "Im Hinblick auf die medizinische Versorgung wird über Landesgrenzen hinweg recherchiert. Dadurch gewinnen wir eine zusätzliche Patientengruppe."

Die Bonner Uniklinik hat einen "International Medical Service", der Gastpatienten betreut. "Ausländische Patienten werden bei uns wie einheimische Privatpatienten behandelt, allerdings nur nach Kostenvoranschlag und Vorauskasse. Die außerbudgetären Einnahmen kommen letztlich allen unseren Patienten zugute", sagte Uniklinik-Chef Holzgreve .

Was ist aus dem einstigen Vorzeigeprojekt "Bonn Medical Partners" geworden - einem Zusammenschluss von neun Kliniken, der früher bei der Tourismus und Congress GmbH angesiedelt war? "Die Bonn Medical Partners gab es im Zeitraum 2006 bis etwa 2010, initiiert durch die Wirtschaftsförderung", so Marc Hoffmann vom Presseamt der Stadt. Ziel sei gewesen, Kliniken und Krankenhäuser beim Umgang mit ausländischen Gastpatienten zu beraten.

"Das Angebot wurde nach diesem Zeitraum eingestellt. Zum einen hatten einige Krankenhäuser zwischenzeitlich eigene Strukturen geschaffen und zum anderen hatten sich auf dem Markt erste privatwirtschaftliche Anbieter für die Beratung ausländischer Gastpatienten etabliert", so Hoffmann.

Eine Internetseite der Bonn Meddical Partners gibt es noch. Außerdem eine Postadresse in Friesdorf, die aber nicht zum Foto der ehemaligen Spanischen Residenz am Kurpark passt, das unter der Rubrik "Office" abgebildet ist. Die Telefonnummer ist nicht mehr gültig, eine freundliche Dame kann aber die Handynummer eines Geschäftsführers nennen, der an seinen Kollegen verweist: Andreas Lüderitz.

Der kurzzeitige Vorsitzende des Vereins Bad Godesberg Stadtmarketing ist nach eigenen Angaben seit August Geschäftsführer der "Bonn Medical Partners". Die GmbH sei eine Unternehmensberatung für Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen im nationalen und internationalen Bereich, die Homepage werde zurzeit überarbeitet, erklärt er.

Internetseiten sind unvollständig und unübersichtlich

Die Informationssuche über den Gesundheitsstandort Bonn im Internet ähnelt ohnehin eher einem Hürdenlauf. Es gibt zwar viele Informationen im Netz, die auch noch kreuz und quer verlinkt sind, die einzelnen Internetauftritte bleiben aber unübersichtlich und zum Teil auch unvollständig.

Das mit 1,5 Millionen Euro vom Land geförderte Projekt "Health Destination Germany Rhineland" ist im März 2015 ausgelaufen. Ziel war es unter anderem, Netzwerke aufzubauen und Informationen zu verbreiten. Gemeinsam mit der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg wurden Seminare rund um den Medizintourismus durchgeführt. Jetzt betreibt der Verein Gesundheitsregion KölnBonn das Portal weiter.

Unbestritten ist: Die Säule Gesundheit stützt Bonn wirtschaftlich. Nach dem Regierungsumzug sind sogar noch neue Kliniken und Forschungsbereiche hinzu gekommen. Was genau der Gesundheitstourismus einbringt, lässt sich nicht beziffern. "Mit der medizinischen Behandlung internationaler Gastpatienten sind grundsätzlich eine Reihe positiver Wirtschaftseffekte verbunden", so die Stadt.

Das Fazit: Für einen Wirtschaftszweig ohne Risiken und Nebenwirkungen ist noch viel zu tun.

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