GA-Interview mit Jens Juszczak "Durch kulturelle Unterschiede entstehen oft Probleme"

BONN · Jens Juszczak von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg beschäftigt sich wissenschaftlich mit dem Medizintourismus. Mit ihm sprach Ayla Jacob.

Wie hoch ist die Zahl der Medizintouristen in der Region Köln/Bonn?
Juszczak: Nach Köln kommen knapp unter 1300 Medizintouristen zur stationären Behandlung, in Bonn sind es um die 900 pro Jahr. Die Zahlen stammen vom statistischen Landesamt. Hinzu kommen die ambulanten Patienten, über deren Anzahl gibt es keine Statistiken.

Gibt es Prognosen für die Zukunft?
Juszczak: Seit vielen Jahren wächst der Markt des Medizintourismus in Deutschland konstant um fünf bis zehn Prozent. Das wird sich weiter fortsetzen. Allerdings wird es wegen des Russland-Ukraine-Konflikts einen Rückgang der Touristen aus Russland geben. Das liegt auch am Wertverlust des Rubels.

Wo liegen die medizinischen Schwerpunkte?
Juszczak: Für Patienten aus dem arabischen Raum sind das vor allem Diabetologie, Orthopädie und Kardiologie. Russische Patienten fragen sehr oft onkologische Behandlungen nach. Besondere Highlights in der Region sind auch die Kinderherzchirurgie der Asklepios Kinderklinik in Sankt Augustin, die Epileptologie der Bonner Uniklinik oder Lasikbehandlungen im Sehkraft Augenzentrum Köln.

Wie setzen sich die Herkunftsländer zusammen?
Juszczak: Wegen der räumlichen Nähe kommen Patienten aus dem europäischen Ausland vor allem aus den Benelux-Ländern. Nach Bonn kommen mehr Patienten aus dem arabischen Raum, nach Köln viele Russen. Neben der medizinischen Behandlungsqualität spielen die Verkehrsanbindung, die touristische Attraktivität sowie die Einkaufsmöglichkeiten eine große Rolle.

Ist der Medizintourismus überhaupt als Wirtschaftsfaktor zu quantifizieren?
Juszczak: Es gibt wenige belastbare Zahlen. Wir schätzen, es fließen jährlich zwischen 39 und 53 Millionen Euro in die Region, und zwar über Behandlungen, Hotelaufenthalte, Gastronomie und Einzelhandel. Dass die Gäste aus dem Ausland auch in der Region investieren, Immobilien kaufen oder sich an Unternehmen beteiligen, ist in diesen Zahlen nicht enthalten.

Wie sind die Auswirkungen auf einheimische Patienten?
Juszczak: In Deutschland gibt es 19 Millionen stationäre einheimische Patienten, dagegen stehen 97.000 Auslandspatienten. Der durchschnittliche Anteil der Medizintouristen liegt bei 0,5 Prozent in deutschen Kliniken. Nachteilige Auswirkungen für einheimische Patienten sind so gut wie nicht spürbar. Wir haben in der Region die höchste Klinikdichte in Deutschland, daher verfügen viele Kliniken noch über Behandlungskapazitäten.

Warum lassen sich überhaupt Patienten, zum Beispiel aus den Golfstaaten, in Deutschland behandeln?
Juszczak: Vergleichbare Behandlungsangebote sind vor Ort teilweise nicht vorhanden, oft ist die Behandlungsqualität hier besser. Investitionen in die Gesundheitsin-frastruktur sind zum Beispiel in den Vereinigten Arabischen Emiraten enorm. Nur leider kann man kaum sehr gutes Fachpersonal "kaufen" und halten. Eine eigene Ausbildlungsstrategie existiert selten.

Wie bewerten Sie die Unterbringung und Begleitung der Patienten während ihres Aufenthaltes?
Juszczak: Es gibt zu wenige Unterkünfte in den Kliniken und kaum Boarding Houses. Das Hotelangebot wird von arabischen Patienten zum Teil nicht angenommen, da man sich "beobachtet" fühlt oder keine Kochgelegenheiten hat. Viele greifen daher auf Angebote ihrer Landsleute auf dem privaten Wohnungsmarkt zurück. Oft entstehen dann durch kulturelle Unterschiede Probleme mit den einheimischen Nachbarn.
Zum einen verlagert sich das Familienleben, insbesondere während des Ramadans, in die Abend- und Nachtstunden und es kann zu Ruhestörungen kommen. Zum anderen sind beispielsweise den ausländischen Gästen unsere Ansätze zur Mülltrennung oder einem umweltbewussten Umgang mit Ressourcen wie Wasser oder Strom nicht geläufig, so dass auch hier Konflikte entstehen können.
Da ein Großteil der arabischen Patienten von den Botschaften betreut wird, wären sie meiner Meinung nach der Schlüssel, dieses Konfliktpotenzial zu verringern. Da sie nicht nur die Behandlung, sondern auch die Unterbringung bezahlen, wäre es wünschenswert, wenn sie den Patienten geeignete Unterkünfte vorschlagen sowie über grundlegende kulturelle und soziale Gegebenheiten informieren.

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