Buchvorstellung Die eigene Familiengeschichte war der Auslöser

BAD GODESBERG · Diese grausamen Sirenen. Diese klirrende Kälte im Januar 1945 im tiefsten Oberschlesien. Diese ewige Schlaflosigkeit, nie mehr warmes Wasser, fast nichts zu essen. „Noch mehr Tage wie heute, und ich drehe völlig durch“, beginnt Harald Gesterkamp seinen ersten Roman „Humboldtstraße Zwei“.

 Es ist vollbracht: Harald Gesterkamp zeigt seinen Roman-Erstling „Humboldtstraße Zwei“.

Es ist vollbracht: Harald Gesterkamp zeigt seinen Roman-Erstling „Humboldtstraße Zwei“.

Foto: privat

Gleich zweimal tritt er mit seinem Erstling im Gepäck in Bad Godesberg auf, an diesem Mittwoch in der Galerie 62 für zeitgenössische Kunst, die er selbst mit gegründet hat, und im September beim Bad Godesberger Kunstverein.

Der Godesberger Redakteur hockt sozusagen mit seiner Hauptfigur, einem jungen Flakhelfer, im absurden Finale des Zweiten Weltkriegs in den Bunkern. „Gestern Abend um acht Uhr fing es an mit Fliegeralarm. Ich konnte meine Füße nicht mehr spüren. Es ist einfach nur Chaos. Keiner behält hier den Überblick. Was wir hier machen, ist so sinnlos“, schreibt Gesterkamp im Stakkato-Rhythmus . Und dann diese schreckliche Angst: „Kommen die Russen nun, oder kommen sie nicht? Niemand sagt uns etwas.“ Die Sehnsucht nach der Familie zerreißt den Studenten. „Völlig sinnlos hampeln wir mit unseren Scheinwerfern herum. Was soll das noch geben?“

Normalerweise schreibt der 54-jährige Gesterkamp politische Kommentare mit Biss wie den neulich zur Türkei. Recep Erdogans Strategie sei die der Unterdrückung jeglicher Meinungsfreiheit, statuiert er da. Was in Deutschland wie eine peinliche Posse wirke, sei am Bosporus leider bedrohliche Realität. Und nun hat der Mann, der ansonsten die aktuelle politische Lage unter die Lupe nimmt, einen 488-seitigen Familienroman verfasst. Das Schicksal einer deutschen Familie zwischen 1934 und 2014 schildert er: Erich Plackwitz ist in den 1930er Jahren als Richter in Schlesien tätig. Er verachtet Hitler, dennoch muss er hilflos zusehen, wie sich Deutschland vom Rechts- zum Unrechtsstaat entwickelt. Seine Tochter Elise liebt ihr Elternhaus in der Humboldtstraße 2, doch muss sie es aufgeben. Nach dem Krieg fasst sie in Westdeutschland Fuß. Doch die Sehnsucht nach Schlesien brodelt weiter in ihr.

Ihr Sohn Andreas, der in Friesdorf lebt, kann das nicht nachvollziehen. Erst als seine Mutter mit einer Krebsdiagnose konfrontiert wird, beginnt er, sich für ihre Lebensgeschichte zu interessieren. Fasziniert liest er sich in einem Kriegstagebuch fest – und ist dabei von Ängsten geschüttelt, die er sich nicht erklären kann. Ja, die eigene Familiengeschichte sei so etwas wie ein Auslöser für das Buch gewesen, gibt Gesterkamp zu. „Natürlich gibt es an manchen Stellen Parallelen zur Geschichte meiner Familie. Aber es ist ganz eindeutig ein Roman, keine Biografie.“ Viele Monate hat er daran gearbeitet. Und jetzt freut er sich auf die Reaktionen der Leser.

Im Handel erhältlich: Harald Gesterkamp: Humboldtstraße Zwei, Verlag Tredition, 19,99 Euro. Lesungen: Mittwoch, 13. Juli, 19 Uhr, Galerie 62, Germanenstraße 62. Montag, 19. September, 20 Uhr, Kunstverein Bad Godesberg, Burgstraße 85. Der Eintritt ist frei.

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