Ausschreitungen in Lannesdorf "Blindwütige Gewalt" nach Provokation durch Pro NRW

Bonn · Die Polizei ist fassungslos: Mit einer "blindwütigen, fast menschenverachtenden Gewalt" haben Salafisten in Bonn auf rechtsextreme Provokationen reagiert. Die Bilanz: 29 verletzte Beamte und mehr als 100 Festnahmen. Mahnungen verhallten ungehört.

"Es war, als wenn Sie ein Feuerzeug in einem gasgefüllten Raum anzünden." Hundertschaftsführer Klaus Kapellner schüttelt bei einer Pressekonferenz am Sonntag in Bonn fassungslos den Kopf: "Diese Art von Gewalt haben wir noch nicht erlebt", sagt der erfahrene Beamte, der am Samstag bei der Kundgebung der rechtsextremen Splitterpartei Pro NRW und der muslimischen Gegen-Demo eigentlich für Ruhe sorgen sollte.

Mit gezielten Provokationen und dem Zeigen von islamfeindlichen Karikaturen hatten Anhänger der rechtsextremistischen Splitterpartei Pro NRW zuvor zahlreiche Anhänger der radikalen Salafisten provoziert. Bald hagelte es Steine, Demonstranten bewaffneten sich mit Zaunlatten und attackierten die Polizisten, als diese versuchten, die Krawallmacher von friedlichen Teilnehmern der Gegendemonstration zu trennen.

Nach Polizeiangaben stach ein 25-Jähriger dabei mit einem Messer auf drei Beamte ein - in gebückter Haltung, um ihre Schutzkleidung zu umgehen. Kapellner schüttelt wieder ungläubig den Kopf: "Es war ihm egal, was er trifft und wen er trifft. Hauptsache, er trifft eine Person in Uniform."

Auf diese Weise seien eine 30-jährige Polizistin und ihr 35-jähriger Kollege schwer verletzt worden. Sie wurden noch am Abend in Bonner Krankenhäusern operiert. Sicherheitskräfte nahmen den mutmaßlichen Täter fest. Die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchter Tötung. Insgesamt wurden 29 Beamte verletzt, 109 Gegendemonstranten festgenomen.

Auch der Leiter des Einsatzes, Dieter Weigel, findet keinen Vergleich. Er habe "noch nie so einen nackten Hass und nackte Gewalt" erlebt, sagt er. Um die Lage zu beruhigen, beendeten die Beamten die Pro-NRW-Veranstaltung. Dennoch: "Danach ging es noch munter weiter", sagt Kapellner. Noch 1,5 Stunden seien Salafisten "marodierend weiter durch die Straßen" gezogen, verfolgt von Polizeikräften aus ganz Nordrhein-Westfalen.

Bereits am 1. Mai war es in Solingen am Rande eines Pro-NRW-Auftritts zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Salafisten hatten die Polizei attackiert und drei Beamte verletzt, nachdem Pro-NRW-Anhänger nahe einer Moschee Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatten - für die fundamentalistischen Muslime eine schwere Beleidigung.

In Bonn hatten die Beamten noch versucht, die Provokation zu verhindern: Mit Mannschaftswagen versperrten sie die Sicht zwischen rechten und islamischen Demonstranten. Jedoch überwanden Pro-NRW-Anhänger, auf Schultern sitzend, mit ihren Plakaten die Sichtbarriere, ebenso Teilnehmer der Gegendemonstration. Dabei waren die Verhältnisse eindeutig: 30 Rechte trafen nach Polizeischätzungen auf 500 Gegendemonstranten, 200 davon Salafisten.

Die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa warnte vor Pauschalisierungen. Bei den Salafisten handele es sich um eine radikale Splittergruppe des Islam, die von den meisten Moslems abgelehnt werde. Sie hoffe, "dass wir weiterhin klug und besonnen" mit muslimischen Mitbürgern umgehen können.

Diese gemäßigten Muslime hatten sich am Samstag redlich Mühe gegeben: Noch während der Ausschreitungen versuchte ein Vertreter vom Rat der Muslime in Bonn, seine Glaubensbrüder zu beruhigen: "Lasst euch von diesen Rechtsextremen nicht provozieren! Beachtet sie gar nicht!" Dann flogen die Steine, und er rief nur noch verzweifelt ins Mikrofon: "Schwestern und Brüder, hört auf damit! Das ist nicht der Islam."

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