Rundgang durch Bad Godesberg Auf den Spuren des Pogroms

BAD GODESBERG · Bei einem Rundgang mit einer Vertreterin der Bonner Gedenkstätte durch Bad Godesberg wird den Teilnehmer das Geschehen am 11. November 1938 plastisch in Erinnerung gerufen. Auch heute noch macht der Tag, an dem die Synagogen brannten, fassungslos.

Ein warmer Sommerabend. Pizzaduft strömt aus den umliegenden Gaststätten durch die kleine Oststraße. Eine Gruppe meist älterer Bürger schaut hier im Herzen des alten Godesberg hinauf an einer unscheinbaren Mauer, an deren Stelle es einst hinein ging in den Garten der örtlichen Synagoge.

„Und dort brach am 11. November 1938 am helllichten Tag gegen 13 Uhr Feuer aus. Ursache unbekannt. So steht es wenigstens im Feuerwehrbericht“, sagt Beke Ritgen. Die Historikerin der Gedenkstätte für die Bonner Opfer des Nationalsozialismus wird die nächsten zwei Stunden in einer Veranstaltung der Volkshochschule auf den Spuren Godesberger Juden durch die umliegenden Straßen führen.

Die Nazis hätten es hier zeitlich nicht geschafft, die Synagoge in der zentralen Pogromnacht anzuzünden. Es hätten erst ortsfremde SA-Leute herangekarrt werden müssen. „Und dann brach damals mittags der Dachstuhl herunter. Die Täter hatten gezielt mit Brandbeschleuniger nachgeholfen“, erläutert Ritgen.

Wo waren die nichtjüdischen Bürger?

Die Zuhörer wirken betroffen. Habe in diesem engen Sträßchen nicht die Gefahr bestanden, dass die umliegenden Häuser Feuer fingen?, fragt eine Frau. „Oh, die Feuerwehr stand natürlich bereit, aber nur, um die Nachbarhäuser zu schützen. Alles war von langer Hand vorbereitet“, antwortet Ritgen.

Und wo waren die nichtjüdischen Bürger? „Die durften nicht näher heran. Die durften den Juden doch nicht helfen. Es war alles von Uniformierten abgeriegelt“, schaltet sich da plötzlich ein alter Herr ins Gespräch ein. Werner Hagen entpuppt sich als Zeitzeuge.

Er war damals als Kind beim Onkel, einem Kunstmaler, in dem Sträßchen zu Gast. „Ich komme immer wieder an diesen Ort, ich kann gar nicht anders“, erklärt er dem GA. Die Großmutter habe ihn an diesem schwarzen Novembertag im Kinderwagen am ausbrennenden Gotteshaus vorbeigefahren. „Da kam nur noch Qualm raus. Grauenhaft.“

Auf den Stufen der Synagoge saß eine weinende Frau

Auf den Stufen zur Synagoge hätten sie eine junge Frau weinen gesehen, habe die Großmutter ihm später erzählt. „Das werde ich nie vergessen“, berichtet Hagen. Und er hat selbst heute noch Tränen in den Augen. Die junge Frau sei damals gepackt und abgeführt worden. „Von strammen SA-Leuten. Das sind Familienerinnerungen, die bleiben“, sagt Hagen und schluckt.

Um Beke Ritgen hat sich inzwischen eine rege Diskussion entzündet. Wie könne es sein, dass die Nazis die Tat damit hätten begründen können, der Volkszorn gegen die Juden sei übergebrodelt, fragt eine Frau. „Es war halt die Parole in die Welt gesetzt: Die Juden sind an allem Schuld. Denen sollte man die Geschäfte und die Synagoge zerstören“, erläutert die Historikerin.

Selbst den Abbau der ausgebrannten Synagoge habe die mit 112 Juden kleine Godesberger Gemeinde damals selbst bezahlen müssen, und dazu horrende sogenannte „Sühneleistungen“ – bevor fast alle ermordet wurden und nur einzelne durch Flucht überleben konnten“.

„Unfassbar“, murmelt Teilnehmer Karl Bendorf. Wie der Holocaust auch in diesem Stadtteil begann, darüber müsse doch viel mehr gesprochen werden. Was dieser Rundgang ausgiebig leistet. Alsbald werden auch Parallelen zu aktueller rassistischer Gewalt gegen die heutigen „Anderen“, gegen Flüchtlinge, gezogen.

Als einziges Familienmitglied überlebt

Beke Ritgen macht die Folgen von Hass ganz plastisch an zwei jüdischen Nachbarskindern fest, die gemeinsam in der Oststraße spielten: „Das eine überlebte als einziges Familienmitglied, das andere wurde mit seiner Familie ermordet.“

Derweil werden in Werner Hagen weitere Erinnerungen wach: wie er später nur einen Steinwurf von der Oststraße entfernt sah, dass am Ännchen Hiltler in einer Limousine vorbeifuhr. „Und etliche Godesberger, Hitlerjungen und andere Fanatische, haben ihm zugejubelt.“ Seine Großmutter habe gesagt: „Guck mal, Junge, das sind die Leute, die auch die Juden jagen.“

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