Klaus Walter aus Bad Godesberg Als Abiturient löste er 1960 eine Staatsaffäre aus

BAD GODESBERG · Klaus Walter, der heute als Pensionär in Bad Godesberg, demonstrierte 1960 mit einer Karikatur gegen die NS-Wurzeln im Kanzleramt. Was er nicht wusste: Er löste damit eine Staatsaffäre aus.

 Hinter Gittern: Klaus Walter (rechts mit Tuch) saß monatelang im Gefängnis Moabit wegen Beleidigung Adenauers.

Hinter Gittern: Klaus Walter (rechts mit Tuch) saß monatelang im Gefängnis Moabit wegen Beleidigung Adenauers.

Foto: Axel Vogel

Da kursiert im Internet immer noch dieses Foto vom Januar 1960. Es ist unterschrieben mit: „Prozess gegen Klaus Walter im Kriminalgericht Berlin-Moabit, dem Beleidigung des Bundeskanzlers Adenauer vorgeworfen wird“. Hinter Polizisten kommt an der Seite einer Dame ein blutjunger Mann in kariertem Mantel aus dem Gericht. Sein Name: Klaus Walter. Der einstige Berliner Abiturient lebt heute als 77-jähriger Pensionär in Bad Godesberg und sagt zu der damaligen Affäre: „Ja, das bin ich mit meiner Mutter. Ich bin 1960 durch einen Rechtsstreit direkt in den Fall Hans Globke verwickelt gewesen.“

Walter hat sich aufgrund eines Artikels über die Causa Globke und eines entsprechenden Romans des Beueler Politikberaters Bernhard Hagemeyer beim GA gemeldet. Wie berichtet, lässt Kulturstaatsministerin Monika Grütters die NS-Wurzeln im Kanzleramt der Nachkriegszeit wissenschaftlich untersuchen. Darin soll es um Globke, den langjährigen Kanzleramtschef Konrad Adenauers, gehen.

Gegen Globke und Vertriebenenminister Theodor Oberländer sei 1960 ermittelt worden, weiß Klaus Walter noch. Er, Sohn antifaschistischer, kommunistischer West-Berliner Eltern, sei dann halt auf einer Demonstration der Jugendorganisation FDJ in Berlin-Neukölln mitgegangen. Da hätten sie Plakate mit einer Karikatur des britischen „Daily Express“ hochgehalten: Darauf trocknete sich Kanzler Adenauer mit einem Hakenkreuztuch die Krokodilstränen, während aus seinen Rockschößen sein Kanzleramtschef Globke und sein Minister Oberländer purzelten.

Globke, 1936 Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, und Oberländer in SA-Uniform malten Nazikreuze an die Wand. „Das Kuriose war: Die Leute riefen die Polizei, weil sie dachten, wir jungen Leute seien Neonazis“, berichtet Walter. Und er sei nicht schnell genug weggerannt und für fast drei Monate in Untersuchungshaft zu Kriminellen geraten. „Ich bin also ziemlich unbedarft da reingerutscht und war total überfordert. Weil der Fall plötzlich von Ost und West aufgebauscht wurde.“ Der 20-Jährige war zwischen die politischen Fronten geraten. Denn Staranwalt Friedrich Karl Kaul hatte sich den Fall geangelt – und machte die belanglose Plakatgeschichte im Sinne der DDR zur Staatsaffäre. „Und der Leidtragende war ich“, sagt Klaus Walter.

Das einzig Positive sei gewesen, dass nun über Entnazifizierung öffentlich diskutiert wurde. In West-Berlin galt er über Nacht als lebendiger Beweis für die DDR-Hintermänner-Theorie im Prozess, und „drüben“ avancierte er zum Opfer einer BRD-Renazifizierung, schrieb damals der „Spiegel“ in einer Titelstory. Zumal Minister Oberländer „die Dummheit“ beging, den halbstarken Jungen pressewirksam wegen Beleidigung zu verklagen. Kurz darauf musste Oberländer zurücktreten. Globke schwieg und blieb bis 1963 im Amt. „Gewähren Sie einem jungen Menschen das Recht, gegen Leute wie Oberländer und Globke zu protestieren. Denn das ist das Recht jedes guten Deutschen“, hatte Verteidiger Kaul im Prozess gefordert.

Und der junge Klaus Walter? Der wurde wegen Beleidigung zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, die durch die Untersuchungshaft abgebüßt waren. „Aber ich galt als vorbestraft. Glücklicherweise hat mir das beruflich nie geschadet“, sagt Walter. Er wurde Bauingenieur, war seit 1973 in Bonn beschäftigt und arbeitete am früheren Polizeipräsidium und am Post-Tower mit. Kommunist ist er schon lange nicht mehr. „Ich hatte nach 1960 die wahre DDR kennengelernt“, schildert Walter. In den 1990er Jahre habe ihn der SWR für die Sendung „Hitlers Erben“ aufgespürt. „Aber zu einer Aufhebung des Urteils gegen mich hat das leider nicht geführt.“ Jetzt hofft Walter auf das Grütters-Projekt. „Ich muss doch nicht als vorbestraft gelten, nur weil ich als 20-Jähriger mal ein Plakat mit einer Karikatur hochhielt.“

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