Wenn Allergien zum Albtraum werden

Oberarzt Lars Lange bietet am Marienhospital Schulungen für Erzieher, Eltern und Kinder an.

Wenn Allergien zum Albtraum werden
Foto: Barbara Frommann

Bonn. Tom (Name von der Redaktion geändert) war knapp zwei Jahre alt, als er seinen ersten lebensbedrohlichen allergischen Schock erlitt. Seine Eltern wollten ihn Erdnussbutter probieren lassen - und Tom ist allergisch gegen Erdnüsse. Was bis zu diesem Zeitpunkt allerdings niemand wusste. "Bei oralem Kontakt schwellen die Lippen und der Mund an, er bekommt Atemprobleme, Kreislaufreaktionen, auch das Gesicht schwillt an", erzählt Toms Mutter.

Seitdem wird nichts mehr dem Zufall überlassen. Der Achtjährige hat immer seine Notfallmedikamente - Cortison, Adrenalininjektion und Antihystaminikum - dabei. Er nimmt eigenes Essen mit in die Schule, die Lehrer wissen Bescheid, wurden von den Eltern angewiesen, was im schlimmsten Fall zu tun ist. Probleme gab es eigentlich nie - außer, als

Tom in den Kindergarten kommen sollte. Denn die städtische Kita lehnte ihn ab. Begründung: "Solche" Kinder werden nicht genommen, erzählt seine Mutter, die schließlich in einer kirchlichen Einrichtung einen Platz für den heute Achtjährigen bekam. "Wir können den Fall nicht rekonstruieren, er ist beim Jugendamt nicht bekannt", sagt Monika Frömbgen vom städtischen Presseamt.

AllergienKleine Kinder leiden häufiger unter Allergien als Erwachsene. "Das Immunsystem ist noch nicht so ausgereift. Die Allergien können sich aber irgendwann auswachsen", erklärt Dr. Lars Lange.

Gefährlich seien Allergien gegen Lebensmittel und Insektengift. Ei und Milch führen die Allergieliste bei Kleinkindern an, für ältere sind Fisch, Nüsse und Hülsenfrüchte häufig gefährlich.

Erklären kann sie sich den Vorfall nicht: "Es wird jedes allergische Kind aufgenommen. In den Kitas werden dann Vorkehrungen getroffen." In schwierigen Fällen werde eine Pflegedienst eingesetzt. "Das müssen aber die Eltern veranlassen."

"Das Problem ist, dass Schulen und Kindergärten eigentlich keine Medikamente verabreichen dürfen, aber im Notfall eingegriffen werden muss. Da bewegen sich die Erzieher in einer Grauzone", versucht Toms Mutter eine Erklärung. Dass die Erzieher häufig Angst haben, etwas falsch zu machen, weiß auch Dr. Lars Lange vom Marienhospital.

"Deswegen braucht das Personal Schulungen", so der Oberarzt, der bereits regelmäßig Eltern und Kinder in Sachen Allergien unterrichtet. Und genau diese Schulungen werden jetzt am Marienhospital angeboten - in Zusammenarbeit mit dem städtischen Jugendamt. Die Erzieher lernen unter anderem, was eine Allergie ist, was sie auslösen kann, welche Beschwerden die Kinder haben und wie sie im Notfall reagieren müssen. "Die Schulung läuft zurzeit zweigleisig", erklärt Lange.

Soll heißen, dass es einerseits Kurse für alle städtischen Mitarbeiter gibt. Andererseits bietet Lange die Schulungen auch für private Träger wie Kirchen oder Elterninitiativen an - wenn sich genug Teilnehmer finden (Anmeldung im Marienhospital unter Rufnummer (02 28) 5 05 29 01).

Das Marienhospital ist - neben der Berliner Charité, dem Kinderzentrum der Universität Köln und dem Osnabrücker Kinderhospital - eins von vier Schulungszentren in Deutschland und an dem Programm AGATE (AG Anaphylaxie Training und Edukation) beteiligt. An allen vier Kliniken werden verschiedene Schulungs-Pilotprojekte gestartet, anschließend werden die Erfahrungen ausgetauscht.

Dass die Kurse Erfolg haben, sieht Lange an den Eltern-Kind-Schulungen, die schon länger angeboten werden. "Die Sicherheit im Umgang mit den Allergien wird deutlich besser." Denn auch auf den Alltag haben die Allergien großen Einfluss. Stets müssen die Lebensmittel unter die Lupe genommen werden, essen im Restaurant ist häufig schwierig.

"Wir gehen so gut wie gar nicht essen, es ist einfach unentspannt. Wenn man nach den Zutaten fragt, wissen es die Angestellten häufig nicht", erzählt Tanja Neiss, deren dreijähriger Sohn Bent allergisch gegen Nüsse, Eier und Kiwi ist. Im Kindergarten hat er seinen eigenen Pudding, eigene Kuchen und eigene Riegel im Kühlschrank, sein Essen nimmt er jeden Tag mit. "Er kriegt das schon mit, dass er immer etwas anderes bekommt, als die anderen Kinder. Aber er wächst damit auf."

Umfrage in städtischen KitasEine Umfrage von Dr. Lars Lange in allen städtischen Bonner Kindergärten im Frühjahr 2010 hat ergeben, dass mehr als 3 000 Kinder in 41 Einrichtungen betreut werden. In 75 Prozent der Kindergärten werden Kinder mit potenziell gefährlichen Allergien betreut - maximal waren es neun pro Einrichtung.

3,2 Prozent haben eine Allergie, 1,4 Prozent gegen potenziell gefährliche Allergene wie Nahrungsmittel und Insektengifte. In 27 Prozent der Kitas gab es Kinder, die eine ausgeprägte allergische Reaktion zeigten, dreimal musste ein Notarzt gerufen werden. In 24 von 41 Einrichtungen wurde schon einmal ein Kind mit starken allergischen Reaktionen betreut. Insgesamt haben 85 Prozent aller Einrichtungen Erfahrungen mit allergischen Kindern, so Lange.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort