Interview mit Dagmar Hänel Weihnachtsbaum-Deko im Wandel: Panzer, Lametta und Überfluss

Bonn · "Früher war mehr Lametta" heißt es bei Loriot. Die ersten Metallfäden schmückten schon Ende des 19. Jahrhunderts den Baum. Was man heute an Nordmanntannen und Fichten sieht? "Dass wir eine Überflussgesellschaft sind", sagt die Volkskundlerin Dagmar Hänel.

Volkskundlerin Dagmar Hänel.

Volkskundlerin Dagmar Hänel.

Foto: dpa

Fichte oder Nordmanntanne? Nicht piksend? Oder gar geruchlos? Wie auch immer der Baum aussieht - am Weihnachtsfest bleibt er eine feste Konstante. Geändert hat sich aber der Baumschmuck. An ihm kann man die jeweilige Zeit ablesen, sagt Dagmar Hänel vom Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.

Bei Loriot heißt es: "Früher war mehr Lametta". Wie haben sich Weihnachtsbäume und ihre Deko denn in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Wenn man sich die Bäume aus dem vergangenen Jahrhundert auf Fotos anschaut, kann man jeden einem Jahrzehnt zuweisen. Mit ihrer Deko sind sie Zeitzeugen und erzählen eine Menge über die jeweilige Kultur. Zu Kriegszeiten Ende des 19. Jahrhunderts zum Beispiel war Schmuck in Form von Zeppelinen, Panzern oder Waffen populär. Überhaupt war man zu dieser Zeit schon technisch in der Lage, leicht und preiswert dünn beschichtetes Metall-Gold oder auch -Silber herzustellen. Daher entstammt eigentlich die Idee: Früher war mehr Lametta. Damals schon schmückte man mit Metallfäden den Baum.

Und was sagen die Weihnachtsbäume heutzutage aus?
Heute haben wir die große Vielfalt, die auch ein Stück für unsere aktuelle Kultur steht. Wir verwenden Begriffe wie Globalisierung, Pluralität und Individualität, wenn wir unsere Gesellschaft beschreiben. An den Weihnachtsbäumen sieht man das deutlich: Es ist ein großes Angebot da, das von den Menschen angenommen wird. Es gibt ein Bedürfnis nach Abwechslung, das heißt, nicht immer den Baum mit den altmodischen roten Kerzen schmücken, sondern jetzt mal in Blau oder Lila. Was man auch am Baum sieht: Wir sind eine Überflussgesellschaft. Die finanzielle Kapazität ist da, jedes Jahr oder jedes zweite neuen Weihnachtsbaumschmuck zu kaufen. Die Bäume werden auch immer voller.

Ist über die Jahre ein Stück Tradition bei der Dekoration verloren gegangen?
Es gibt viele Menschen, die ihre Familientradition am Weihnachtsbaum zeigen. Wenn zum Beispiel die Kiste mit dem Baumschmuck in der Familie weitervererbt wird, oder wenn man bestimmte Kugeln und Strohsterne, die man vielleicht mal mit der Mutter gebastelt hat, immer noch aufhängt. Das Weihnachtsfest ist ein Kristallisationspunkt für Erinnerungskultur, eine Idee von Nostalgie und Gemeinschaft. Ich denke, dass es dauerhaft zwei Richtungen geben wird: Auf der einen Seite der Wunsch nach Aktuellem, auf der anderen die Sehnsucht nach Vergangenheit und Tradition. Das wird nicht aufhören.

Was ist dieses Jahr besonders angesagt?
In den Weihnachtsabteilungen der großen Kaufhäuser ist es deutlich zu sehen: Viel Rot mit Glas, mit Silber oder Gold, braune Kugeln sind mir aufgefallen. Aber auch ein kaltes Blau liegt im Trend.

Die Ethnologin Dagmar Hänel, Jahrgang 1969, ist Leiterin der Abteilung Volkskunde beim LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn. Sie studierte unter anderem Volkskunde und Europäische Ethnologie.

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