Bahnhofsvorplatz Bonn Tristesse im Herzen der Stadt

BONN · Die Diskussion um den Bahnhofsvorplatz hält an, seit Mitte der siebziger Jahre mit dem Bau der U-Bahn neue Tatsachen geschaffen wurden. Und überhaupt: Stadtplanung in Bonn hat nicht immer etwas mit Fantasie und Kultur zu tun.

Nicht einmal Kaiser Wilhelm II. konnte die fortschrittsorientierten Kräfte in Bonn aufhalten. Es galt Platz zu schaffen für den wachsenden Verkehr in der einstigen Residenzstadt des Kölner Kurfürsten. Am Ende der Sternstraße, dort wo sie auf die Kasernenstraße trifft, trotzte das Sterntor der ehemaligen Stadtbefestigung mehr als 650 Jahre lang Kriegen, Feuer - und der Stadtentwicklung. Erst 1898 wurde es niedergemacht. Das Bauwerk, das dann zwei Jahre später am Bottlerplatz aufgebaut wurde, ist der eigentlichen Torburg lediglich nachempfunden und besteht nur teilweise aus Resten der Stadtmauer.

Glücklicherweise überlebte das Gasthaus Zum Goldenen Hirsch die Bauwut der nächsten Jahrzehnte. Vielleicht hat sein Charakter das schmucke kleine Häuschen, das 1773 erstmals erwähnt wurde, gerettet, so wie es sich in die Ecke schmiegt, fast unauffällig und dennoch mit gewissem Stolz gegenüber den großen Nachbargebäuden.

Es ist eigenartigerweise genau diese Stelle in der Bonner Innenstadt, die beispielhaft für gute Baukultur steht. Der Bonner Architekt Karl-Heinz Schommer griff für seinen T-Punkt-Neubau die Proportionen der alten Häuser an der Sternstraße auf und blieb mit dem gläsernen schlichten Schachtelgebäude sogar vier Meter unter der Höhe des Ursprungsbaus. Was er aber tat, war, mit seinem Anbau weiter in die Sternstraße hinauszutreten und damit den früheren Verlauf der Stadtmauer und den Standort des Sterntors anzudeuten - eine architektonische Erinnerung an die Geschichte, fast eine Mahnung, die Vergangenheit zu ehren. Dabei schafft es der Architekt, sein neues Gebäudeteil mit einem so zurückhaltenden Charakter zu versehen, dass das Baudenkmal daneben die Beachtung behält, die es verdient.

Doch Baukultur herrscht nicht allenthalben in Bonn. Woran liegt's? Die Frage ist aktueller denn je. Jetzt, wo der Durchbruch für eine Neuentwicklung auf dem Bahnhofsvorplatz gelungen scheint, nachdem der Stadtrat den Weg für die Schlussverhandlungen mit dem niederländischen Geschäftsführer der German Development Group Roger Sevenheck frei gemacht hat, könnte der Stein ins Rollen kommen, die gesamte Achse zwischen Kaiserplatz und Thomas-Mann-Straße neu zu planen oder zu überarbeiten.

1985 gab es anlässlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes eine bemerkenswerte Podiumsdiskussion über die Rolle der damaligen Bundeshauptstadt und die Stadtentwicklung Bonns. Der Oberbürgermeister hieß noch Hans Daniels, und dieser sagte: "Bonn ist so provisorisch wie die Bundesrepublik Deutschland provisorisch ist, das ist immer so gewesen." Da man nach 1949 geglaubt habe, das Provisorium sei nur von kurzer Dauer, habe es keine langfristige Bauplanung gegeben. Die Folge: "Durch diese Planlosigkeit ist besonders im Regierungsviertel ein großer Schaden entstanden." Mittlerweile sei doch unumstritten, dass Bonn die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland sei - "ob sie will oder nicht", so Daniels. Vier Jahre später fiel die Mauer - zu einer Zeit, als Bonn gerade dabei war, seine Aufgaben als Bundeshauptstadt auch architektonisch zu manifestieren.

Aber 1985, da waren städteplanerisch schon jede Menge Pfosten eingeschlagen. Und so gab es bereits damals Kritik an der Baukultur der Stadt. Diese "neuzeitliche Architektur", sagte etwa der Kunsthistoriker Heinrich Lützeler und schüttelte sich. Beethovenhalle, Stadttheater und Universitätsbibliothek seien ja "durchaus gelungen", aber da gebe es doch noch eine "ganze Menge Bausünden": Stadthaus, Bonner Loch, der Lange Eugen und das Bundeskanzleramt, das mit seiner dunklen Fassade "ständig Trauer trägt".

Dabei muss man den damaligen Entscheidungsträgern zugutehalten, dass sie eine ganze Reihe anderer "Bausünden" verhinderten: Die beiden Kreuzbauten etwa sollten ursprünglich nicht als Duo am Hochkreuz dominieren, es waren insgesamt elf ihrer Art vorgesehen. Auch am Langen Eugen war ein gewaltiger terrassierter Bau angedacht, der bis zum Fußballplatz ragen sollte, wo in diesem Sommer die Kunst!Rasen-Open-Airs stattfinden werden.

Indes: Die Diskussion um den Bahnhofsvorplatz hält an, seit mit dem U-Bahn-Bau Mitte der siebziger Jahre neue Tatsachen geschaffen wurden. Das Bonner Loch, das vom Architekten Friedrich Spengelin geschaffen wurde - der auch die Gesamtplanung des Neubaugebiets Meckenheim-Merl mitverantwortet - fand nur wenige Freunde, auch wenn sich bei einer Veranstaltung der Werkstatt Baukultur des Kunsthistorischen Instituts der Uni Bonn im September eine ganze Reihe von Bürgern outete und für den Erhalt der grauen Betonanlage plädierte. "Man muss den Geist der damaligen Zeit ins Gedächtnis rufen", so der Kunsthistoriker Martin Bredenbeck. Der Erhalt alter Bausubstanz sei damals nicht im Trend gewesen, und so sollte sich die Stadt "neu und modern" präsentieren, wenn Bahnreisende in Bonn ankommen.

Die "Inszenierung der Ankunft", so hat es ein Architekt mal formuliert, die fehle in Bonn. Wer nach einer Bahnreise in einer Stadt ankommt, dem brennt sich der erste Eindruck ins Gedächtnis. Was sieht ein Gast heute als erstes, wenn er in Bonn ankommt? Wer mit der Stadtbahnlinie 66 vom ICE-Bahnhof Siegburg nach Bonn fährt, der muss durchs schmuddelige Bonner Loch. Dem Reisenden, der am Hauptbahnhof aussteigt und vor das Gebäude tritt, wird der Blick nach rechts von einem dunklen Gebäuderiegel versperrt. Dieser Riegel ist eher geeignet, den Blick abzuleiten zum ebenso unansehnlichen Busbahnhof mit seinen Überdachungen im Charme der siebziger Jahre. Geradeaus ein weiter grauer Platz ohne Konturen, dahinter die eigentlich recht nette Häuserfront der Maximilianstraße, an der sich der Blick aber nicht so recht festhalten lässt.

In welche Richtung bietet sich ein Bummel durch die Stadt an? Natürlich in die Fußgängerzone, wo die üblichen Kaufhausfassaden mit den bekannten Handelsketten warten. "Das Gegenteil von Baukultur ist Beliebigkeit. Langeweile und Tristesse bringen eine Gesellschaft aber nicht weiter", sagt Architekt Schommer.

Ein Blick aus der Vogelperspektive zeigt, wie sehr die Achse zwischen Kaiserplatz, Busbahnhof und Thomas-Mann-Straße eine kreative Hand braucht. Was findet sich auf diesem zentralen Abschnitt? Ein unübersichtlicher Knotenpunkt für Linienbusse, die Eingänge zum U-Bahnhof, ein unattraktiver Taxistand am Hauptbahnhof, das Bonner Loch und ein Parkplatz. Wirkliche Aufenthaltsqualität gibt es nicht. Ist das etwa das Gesicht einer "UN-Stadt", "Wissenschaftsstadt" und "Beethovenstadt", die mit "Freude.Joy.Joie.Bonn" für sich wirbt?

Einen Bahnhofsvorplatz, wie er Planern derzeit vorschwebt, hat es in Bonn nie gegeben. Lediglich die weite Allee vermittelte diesen Eindruck. In den sechziger Jahren wurde diese schöne Straße durch Straßenbahnhaltestellen mitten auf der Allee bereits ihres ursprünglichen Charakters beraubt. Man muss heute geradezu dankbar sein, dass die ursprünglichen Pläne nicht umgesetzt wurden: Denn die jetzige Südüberbauung sollte kein Solitär bleiben, sondern mit der Cassiusbastei und einer Überbauung mit der Quantius-straße verbunden werden.

Klaus Borchard hatte als Architekt, Stadtplaner und Professor für Städtebau sowie als langjähriger Rektor der Bonner Universität Gelegenheit, die Entwicklung Bonns mit wissenschaftlichem Interesse zu verfolgen. Es ist genau diese "Inszenierung der Ankunft", die der 74-Jährige vermisst. "Wenn man an diesen Gedanken anknüpft, kann man eine ganze Menge machen." Neben einer ansprechenden Architektur plädiert Borchard dafür, die alte Grünverbindung zwischen Altem Friedhof, der früher praktisch die Stadtgrenze bildete, und Poppelsdorfer Allee wiederherzustellen.

Damit spricht Borchard, der heute noch unter anderem für die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung tätig ist, ein weiteres Grundproblem an: Bonn ist voller Barrieren; fließende Verbindungen, vor allem für Fußgänger und Radfahrer, fehlen an vielen Stellen. Jetzt soll endlich eine Nord-Süd-Tangente für Radfahrer vom Bahnhof bis zur Bornheimer Straße geschaffen werden. Doch ob das reicht?

Auf die ersten Hindernisse treffen Fußgänger, die vielleicht aus Versehen den Bürgersteig in Richtung Rabinstraße nehmen und über den Parkplatz Richtung Innenstadt laufen. Kniehohe Mauern versperren den Weg. Überhaupt: Wie werden Fußgänger durch die Stadt gelenkt? Welchen Anreiz sollte man haben, den Weg über die Maximilianstraße zur Thomas-Mann-Straße zu nehmen? Die Thomas-Mann-Straße, durch die die Straßenbahn verkehrt, gehört zur unmittelbaren Innenstadt, doch dieses architektonische Juwel wird städtebaulich ignoriert. Und das völlig zu Unrecht.

Denn diese Straße hat sich gemausert. Auch hier finden sich Beispiele für höchste Baukultur. Der Kölner Architekt Thomas van den Valentyn hat mit seinem Hotel Domicil dazu beigetragen. Überhaupt gehört van den Valentyn zu jenen Architekten, denen Bonn viel zu verdanken hat: Der Kammermusiksaal mit dem Beethovenarchiv in der Bonngasse stammt von ihm, das geschwungene Sterntorhaus an der Oxfordstraße und die Loggia am Stadthaus, aber leider auch die T-Home-Zentrale an der Friedrich-Ebert-Allee mit einer einförmigen Fassade.

"Die Städte sind für die Lebenden da", sagt Borchard knapp. Die Stadt muss als Ort der Begegnung, des Erlebnisses und des Wohnens gepflegt werden. Wohnen in der Stadt, das wissen Demografen nur zu gut, wird immer wichtiger. Menschen in der dritten Lebensphase zieht es immer häufiger in die Städte mit ihrer guten Infrastruktur. "Gerade eine Stadt wie Bonn mit ihren enormen Potenzialen, die glücklicherweise ja noch Wachstum verzeichnet, muss ihre Reserven identifizieren", so Borchard. Die Innenstadt verfügt eigentlich noch über reichlich Wohnraum, doch auch über Leerstand. Und das durchaus freiwillig, wie Borchard weiß. "Die Obergeschosse an der Sternstraße sind vielfach nicht vermietet, weil die Ladenmiete mehr bringt als die Wohnung oben, zu der es eben wegen der Geschäfte unten keinen Zugang mehr gibt. Absurd!"

Aber gerade die Nutzungsvielfalt ist es, die Innenstädte belebt. Wie sieht es in der Fußgängerzone nach Ladenschluss aus? Es gibt kaum noch Gastronomie, kaum Kulturstätten, kaum Wohnen. Das Herz der Stadt hört abends auf zu schlagen. Und Bonn hat tatsächlich Potenziale. Das Viktoriakarree etwa ist solch eine einmalige Chance, mit einem kleinteiligen Mix an Angeboten, ein lebendiges Quartier zu schaffen.

"Wenn etwas Besseres kommt, darf auch ein Abriss kein Tabu sein", meint Borchard. Und da denkt er nicht unbedingt ans Viktoriabad, sondern auch an andere "Tabus". Etwa die Beethovenhalle. "Warum nicht?", so Borchard, der "so ein nostalgisches Verhältnis" zur Nachkriegsarchitektur ausmacht. Dabei sei die Beethovenhalle eines der Beispiele, die zeigten, wie sehr Bonn dem Rhein den Rücken kehrt. Der sogenannte Diamant als Festspielhaus, den die Architektin Zaha Hadid entwarf, überzeugt ihn aber ebenso wenig. "Was ist das für eine Architektur, die sich beliebig versetzen lässt?" Dass man ihren Bau nun für die Rheinaue vorsehe, zeige doch, dass Hadids Entwurf das Thema Rhein gar nicht aufnehme. "Die Bonner haben sich blenden lassen vom Diamanten, waren geradezu besoffen von den schönen Bildern."

Das Rheinufer städtebaulich erkennbar zu machen, auch das ist etwas, was die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten sträflich vernachlässigt hat. Bonn hat sich geradezu abgeschottet zum Rhein. Ein einziges Bollwerk, das jetzt durch die neuen Rheinlogen mit ihrem auskragenden Teil am Brassertufer ein Ausrufezeichen an der Promenade bildet. Sicherlich herrlich zum Wohnen mit sagenhafter Aussicht. Aber auch das ist Baukultur: wirtschaftliches Interesse mit dem des Gemeinwohls in Einklang zu bringen. Dabei ließe sich das Ufer herrlich beleben.

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