Bönnsch stirbt aus Selbst "echte Bonner" sprechen immer seltener die Mundart

BONN · Heimat, Brauchtum, Muttersprache. Wenn diese Reihenfolge doch so einfach wäre. Immer weniger Bonner können Dialekt sprechen. Vor allem die Jugend benutzt immer weniger Mundartwörter im Alltag. Was die Großeltern konnten, gelingt ihren Enkeln längst nicht mehr.

Ein Test mit 73 Schülern vor zwei Jahren brachte es an den Tag: Gymnasiasten in Bonn kennen solche Wörter wie Klüngel, Möhne, fimbschich, Kamelle oder Pläät kaum noch oder gar nicht mehr.

Es gibt aber Bestrebungen, das zu ändern. Bei aller erwünschter Internationalität in Bonn, zur Identität und Unverwechselbarkeit gehört auch der rheinische Dialekt, findet Bernhard Wimmer vom Bürger Bund Bonn. Seine Fraktion hat jetzt einen Antrag gestellt, die bönnsche Muttersprache stärker zu fördern und die zahlreichen Initiativen von Karnevalisten, Clübchen und Personen, die das gesprochene Platt hoch halten, zu vernetzen und seitens der Stadt zu fördern.

Wimmers Annahme, es bestehe kein Grund zum Pessimismus, dass der rheinische Dialekt keine Überlebenschance haben könnte, ist jedoch falsch. Das sagt zumindest Georg Cornelissen, Sprachforscher beim Landschaftsverband Rheinland. "Es ist absehbar, dass der rheinische Dialekt aussterben wird, wenn nicht ein Wunder geschieht", sagt er. "Die Enkel lernen es nicht mehr, es sei denn, sie wohnen mit Opa und Oma in einem Haus."

Auf bönnscher Spurensuche treffen wir Karl-Friedrich Schleier und seine Frau Elisabeth. Sie treten als Bönnsche in vielen Verkleidungen auf, als Nachtwächter, Bönnscher Weinzäpfer und Bäckersfrau "vun de Josefstrooß". Auch sie merken, dass "ihr" Bönnsch Platt schwer auf dem Rückzug ist. Schade eigentlich: Denn damit gehen auch solche Redewendungen verloren, die Elisabeth Schleier aus dem Hut zieht, als sie in den regnerischen Himmel blickt: "Ich jlööf, et hätt aanjefange upzehüre."

Doch zu Verzagtheit besteht kein Grund: Das Platt lebt irgendwie weiter, nicht als Dialekt, aber als rheinisch eingefärbter Akzent. Die Sprachforscher nennen das Regiolekt. Nehmen wir ein Beispiel: Ältere Bonner wissen, was "sickig" bedeutet - nämlich verärgert. Jüngere Leute benutzen das Wort nicht mehr so, sie bilden aber daraus "ich bin am Sicken". Genauso wie sie die rheinischen Formen "isch", "dat" oder "wat" weiter benutzen. Aber auch das wird weniger.

Auch die Wortschöpfungen früherer Zeiten sind flöten gegangen. "Selbst Dialektsprecher nehmen neue Begriffe nur ins Hochdeutsche auf, prägen aber keine eigenen neuen Wörter mehr", so der Forscher. Wie will man auch Nachhaltigkeit, Umweltschutz oder Software mit eigenen Begriffen in den Dialekt übersetzen?

Hinzu kommt: Viele bönnsche Begriffe wie "Mestekuhl" (Mistgrube) haben ihren Ursprung in der Landwirtschaft, heutzutage jedoch fehlt der Bezug zur realen Welt. "Das", so Cornelissen, "war aber schon zwei Generationen vor den heutigen Senioren so."

Verloren geht auch die dörfliche Perspektive, als bei Kirmesfesten die "Ippendóreve Bäsemskräme" sich mit den "Längsdóreve Baachkrade" anlegten oder die "Kaaßele Öllechsköpp" mit den "Pötzjens Tälleläcke" über Kreuz lagen. "Diese kleinräumigen Ortsrivalitäten nehmen immer weiter ab. Aber zwischen größeren Städten wie Bonn und Köln kann es sie durchaus noch geben."

Wieder unterwegs mit dem Ehepaar Schleier: Eine ältere Dame im Café ist des Bönnsch-Platt noch mächtig, eine junge Frau im Laden nebenan nicht. "Verstehen ja, reden nicht", sagt sie und zuckt die Schultern. "Wir haben das zu Hause nicht gelernt." Ein typischer Fall, sagt Sprachforscher Cornelissen. "Wenn wir Bönnsch-Sprecher finden, ist der Durchschnitt von ihnen schon in Rente. Leute unter 40 Jahren sind in der Regel nicht dabei."

Schwarz sehen darf man auch hinsichtlich der Initiative des Bürger Bundes. Für Projekte zur Mundart-Förderung ist bei der Stadtverwaltung zwar viel Sympathie vorhanden, jedoch: "Finanzmittel stehen dafür nicht zur Verfügung", so die Stadt.

Dabei sei, so Sprachforscher Cornelissen, jeder Dialekt erlernbar. Bönnsch sei nicht schwieriger als Spanisch oder Chinesisch. "Wichtig ist der Zeitpunkt. Was bei Fünfjährigen funktioniert, klappt bei 35-Jährigen schon nicht mehr." Das Problem sei heutzutage: Man schnappt im Alltag einfach nicht mehr so viel Muttersprache auf wie früher.

Kinder, die ausschließlich Platt sprechen, gebe es schon seit 30 Jahren nicht mehr in den Schulen. "Wo sollen sie das auch aufschnappen?" Insgesamt staunen Sprachforscher immer wieder, wie viel Sprachidentität verloren geht. Im Ruhrgebiet wüssten viele junge Leute nicht einmal mehr, was ein "Pütt" (Bergwerk) sei, so Cornelissen.

Der Trend geht zwar insgesamt zum Hochdeutsch, doch übrig bleibt für den Sprachforscher immer noch genügend Regionales. "Nach Bönnsch-Platt kommt weder die Wildnis noch ein reines Tagesschau-Hochdeutsch."

Die Bönnsch-Projekte

Der Festausschuss Bonner Karneval hat Mundart-Unterrichtsprojekte in Schulen ins Leben gerufen, es gibt Treffen von "Ur-Bonnern", "Klaaftreffs" in Bad Godesberg, Bönnsche Lesungen in Endenich und zuweilen Mundart-Gottesdienste. Der Filmemacher Georg Divossen porträtiert Bonner Besonderheiten in seinen Kauf-DVDs.

Die Sparkasse KölnBonn bietet bönnsches Internet-Banking an. Rundgänge mit Bönnsch-Bezug sind über die Tourist-Info oder www.rheinschleier.de buchbar. Und es gibt ein interaktives Mundart-Lexikon unter www.mitmachwoerterbuch.lvr.de.

Bönnsches Vokabular für Fortgeschrittene:

  • Klaafbotz: Vielschwätzer
  • Flitsch: Gummischleuder
  • Schnüssorjel: Mundharmonika
  • Poéz: Tor, Tür
  • Mömmes: Nasenschleim, Popel
  • Jäckeanstalt: Psychiatrie
  • Föppche: Leichtmotorrad
  • Prommetaat: Pflaumenkuchen
  • Rappelkess: baufälliger Wagen
  • Uérekniis: Ohrenschmalz
  • Nüggel: Schnuller
  • Möllämme: Mülleimer
  • Appelketsch: Kerngehäuse
  • Pilledrié: Apotheker
  • Ballechping: Leibschmerzen
  • Botteramm: Butterbrot
  • Braatsch: (loses) Mundwerk
  • Dönnschess: Durchfall
  • Kläumanes: Dieb
  • Schohnsrehme: Schnürsenkel
  • Buerefrängel: Tolpatsch
  • Quätschbüggel: Ziehharmonika
  • Röpekrutt: Rübenkraut
  • Quallmann: Pellkartoffel
  • Schwaadlappe: Maulheld
  • Öllech, Öllije: Zwiebel
  • Zuppekomp: Suppenschüssel
  • Pepps: Erkältung, Schnupfen
  • Schmeck: Peitsche
  • Jedöns: Getue, Krach
  • Dräckschöpp: Kehrschaufel
  • Schabau: Schnaps
  • Moltehübbel: Maulwurfshügel

(Quelle: Herbert Weffer: "Von aach bes zwöllef", Bönnsches Lexikon)

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