GA-Volontärin im Selbstversuch Ist es möglich, sich nur von fairen Produkten zu ernähren?

BONN · Eine gute Nachricht vorweg: Der Kaffee, den ich jeden Morgen trinke, ist schon fair. Ich starte also mit meiner üblichen Dosis Kaffeebohnen-Aroma und Koffein ins Experiment. Fünf Tage lang fair leben. Nur Produkte konsumieren, die unter fairen Bedingungen entstanden sind.

Das Thema ist mir nicht gänzlich unbekannt. Ich war in Guatemala und habe geschundene Kinderhände auf Kaffeeplantagen gesehen. Und Achtjährige, die als Lastenschlepper arbeiten. Auch über die richtige Ernährung habe ich mir schon den einen oder anderen Gedanken gemacht.

Ich esse kein Fleisch, weil ich ungern für den Tod von Tieren verantwortlich sein will und aus Protest gegen die Produktionsbedingungen. Ab und zu habe ich im Supermarkt nach einer Fair-Trade-Schokolade gegriffen. Aber gerade sind Faire Wochen, und die sollen der Anlass sein, das Ganze einmal konsequent durchzuziehen.

Also auf in den Supermarkt. Ich nehme alles mit, was ein Fair-Trade-Siegel der deutschen Initiative TransFair trägt: Schokolade, Kekse, Studentenfutter, Reis, Tee. Sieht gar nicht schlecht aus, denke ich. Auch wenn es die Preise zum Teil in sich haben - 500 Gramm Basmati-Reis kosten rund 3,50 Euro. Auf www.fairtrade-code.de finde ich Informationen zur Produktion: "220 Familien profitieren von Mehreinnahmen und Sozialstandards in der Zucker-Kooperative Asocace in Paraguay."

Das fühlt sich gut an. Zumindest bis zum Nachmittag. Irgendwann haben die Glückshormone aus der Schokolade den Kampf gegen die schlechte Laune eines knurrenden Magens verloren. Und, was fast noch schlimmer ist: Den Kaffee in der Redaktion darf ich nicht trinken. Dabei bin ich ein Kaffeejunkie. Plötzlich sind Guatemala und Sri Lanka wieder ganz weit weg.

Ich frage bei TransFair nach. Warum gibt es nur so eine begrenzte Produktpalette? Ziel des Fairen Handels sei es seit 20 Jahren, Kleinbauern in Afrika, Asien und Lateinamerika zu fördern und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, erklärt Edith Gmeiner. Sozusagen eine alternative zur staatlichen Entwicklungshilfe.

"Darauf ist eben auch das Sortiment aufgebaut." Wenn zusätzlich ökologisch produziert wird, gibt es eine Prämie. Für frisches Gemüse und Fleisch aus entwickelten Ländern oder heimische Milchprodukte ist TransFair aber schlicht nicht zuständig.

Ich brauche immer noch eine anständige Mahlzeit. Im Weltladen an der Maxstraße werde ich fündig: mafia-freie Spaghetti aus Italien und Pesto. Auch am nächsten Tag habe ich Glück, denn im Zuge der Fairen Wochen bietet unsere Kantine ein faires Mittagessen an: Quinoa aus den Anden ergänzt also meine strikte Diät aus Schokolade, Keksen und getrockneten Früchte.

An Tag drei ist es Zeit für einen Gang zur Kaffee-Dealerin meines Vertrauens. Sie halte nichts vom Fair-Trade-Siegel, sagt Christiane Hattingen, die an der Maxstraße die Privatrösterei Kaffeekontor führt. Sie beziehe ihre Bohnen direkt von den Kaffeebauern, mit denen sie selbst faire Preise aushandele. "Das ist echte Begegnung auf Augenhöhe."

Am Abend ein Restaurantbesuch mit Freunden. Irgendetwas fair Gehandeltes? Der Kellner schüttelt den Kopf. Ich bestelle ein Leitungswasser. Die eine Hälfte meiner Tischgesellen findet gut, was ich mache. Konsequent. Müsste man eigentlich auch mal. Die andere ist skeptisch: Was soll das bringen? Das ändert doch nichts? Globalisierung, freier Welthandel, Kapitalismus: Immerhin hat mein kleines Experiment im Freundeskreis die ganz großen Themen auf den Tisch gebracht. Während wir diskutieren, versuche ich nicht zu auffällig auf die Spaghetti all'arrabbiata neben mir zu starren.

Vielleicht sind es die kritischen Worte von Christiane Hattingen, vielleicht klingen die Argumente meiner skeptischen Freunde noch nach, oder es ist schlicht der Appetit auf ein deftiges Käsebrot: Jedenfalls plagen mich am vierten Tag meines Selbstversuchs Zweifel. Die Vielzahl der Siegel macht mir zu schaffen. Im Supermarkt regiert das Fair-Trade-Siegel, im Weltladen stehen die Importgesellschaften Gepa, El Puente oder dwp auf der Verpackung.

Und selbst wenn sie bessere Arbeitsbedingungen für einige Kleinbauern schaffen: Das große ganze Problem ändert das nicht. Vielleicht ist es sogar schädlich, weil ich mir mit ein paar Cent mehr ein gutes Gewissen erkaufe und damit jegliche weitere Verantwortung für menschenverachtende Produktionsbedingungen, ob in Paraguay oder Bangladesch, von mir weisen kann. Müsste ich nicht auch faire Kleidung tragen, auf Computer und Smartphone verzichten? Wenn es nicht zu 100 Prozent geht, warum dann überhaupt? Außerdem habe ich Hunger.

Ich suche Rat bei der Verbraucherzentrale NRW. "Alle großen Siegel und Namen sind sehr vertrauenswürdig", versichert mir Monika Vogelpohl. Dass der Faire Handel tatsächlich helfe, hätten zudem Studien belegt. Auch sie versuche, bei bestimmten Produkten zur fairen Alternative zu greifen. Positiven Einfluss habe das auch, wenn man nicht immer ganz konsequent sei. Das und ein selbstgezaubertes faires Menü zum Abendessen - exotische Kürbissuppe und Linsencurry - stimmen mich wieder milde. Ich kann auch darüber hinwegsehen, dass die Zutaten für zwei Personen mich insgesamt knapp 20 Euro gekostet haben.

Fünf Tage habe ich von fairen Nahrungsmitteln gelebt. Das geht, macht aber nicht gerade glücklich. Auch für Geldbeutel, Figur und soziale Kontakte ist eine derartig strikte Diät auf Dauer eine Belastung. Meine gute Nachricht zum Schluss: So viel Konsequenz ist nicht nötig. Wer bei bestimmten Genussmitteln aus dem Süden auf die faire Alternative umsteigt, da sind sich die Experten einig, macht schon vieles richtig. Schokolade, Tee und Kaffee, das ist mein Vorsatz, kommen mir auch künftig, zumindest wenn ich sie selbst kaufe, nur fair gehandelt auf den Tisch.

Fairer Handel in Bonn und im Internet

  • Lebensmittel mit dem Fair-Trade-Siegel von TransFair finden sich inzwischen in jedem Supermarkt. Infos zur Initiative und Produkten, darunter Kaffee, Tee, Kakao, Reis und Schokolade, auf www.fairtrade-deutschland.de sowie www.fairtrade-code.de.
  • Eine größere Auswahl an Lebensmitteln, aber auch Kunsthandwerk, T-Shirts und Schuhe bietet der Weltladen in der Altstadt, Maxstraße 36, an. Die Produkte stammen von Importgesellschaften wie Gepa, El Puente oder dwp, die sich auf Fairen Handel spezialisiert haben und langjährige Beziehungen zu den Produzenten pflegen. Auch Bioläden verkaufen faire Lebensmittel.
  • Seit 2010 ist Bonn Fair Trade Town und damit eine von weltweit rund 1200 Städten, die für ihr Engagement für den Fairen Handel ausgezeichnet wurden. Derzeit erarbeitet eine Steuerungsgruppe einen Online-Shopping-Führer, der Bonner Geschäfte und Gastronomie mit fairen Produkten auflisten soll. Weitere Informationen zum Projekt gibt es auf www.fairtrade-towns.de.
  • In Bonn gibt es auch Läden, die faire Kleidung anbieten, etwa "Alma & Lovis", Endenicher Allee 27. Das Geschäft hat sich auf ökologisch nachhaltige und fair produzierte Mode spezialisiert. Eine Liste von fairen Modeläden in Bonn und Köln erstellt derzeit die Frauenrechtsvereinigung Femnet. Auf der Webseite des Femnet-Projekts "Fair-Schnitt", das Bewusstsein für die menschenverachtenden Bedingungen in der Bekleidungsproduktion schaffen will, gibt es eine Übersicht über unterschiedliche Siegel. Infos unter www.fairschnitt.org. Online gibt es faire Mode etwa bei glore.de, armedangels.de, avocadostore.de, hessnatur.com, peopletree.co.uk.
  • Das niederländische Unternehmen "Fairphone" entwickelt ein Smartphone, das unter fairen Bedingungen hergestellt werden soll (www.fairphone.com).
  • Ausführliche Informationen zum Fairen Handel finden sich auf der Internetseite der Verbraucherzentale NRW. Dort sind auch alle gängigen Siegel aufgeführt und bewertet. Weitere Infos unter www.vz-nrw.de/fairer-handel.
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