"Ich kann Ihnen das Medikament nicht geben"

Rabattverträge der Krankenkassen führen auch in Bonn zu Frust bei Patienten und Apothekern - Klagen über bürokratischen Aufwand nehmen zu

"Ich kann Ihnen das Medikament nicht geben"
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Bonn. Marie Helene Grabs ist "mit Leib und Seele" Apothekerin und legt großen Wert darauf, ihre Kunden gut zu beraten. Doch seit einem Jahr muss sie immer öfter erleben, dass die Patienten, die mit ihrem Rezept zu ihr kommen, verunsichert oder gar verärgert nach Hause gehen.

Der Grund: die Rabattverträge, welche die Krankenkassen seit dem 1. April 2007 mit den Arzneimittelherstellern abschließen dürfen und an die sich die Apotheker halten müssen. Kaum eine Auswirkung der Gesundheitsreform bekommen die Patienten so deutlich zu spüren. Auch in Bonn.

Ortstermin Sternenburg-Apotheke in Poppelsdorf an einem Vormittag im Juli: Die 86-jährige Judith E. (Name geändert) reicht Frau Grabs ihr Rezept. Diese geht damit schnurstracks zum Computer, gibt die Nummer der Krankenkasse ein und dann das vom Arzt verschriebene Medikament.

Sofort leuchtet ein rotes Quadrat auf: "Für den ausgewählten Artikel besteht Substitutionspflicht." Frau Grabs seufzt: "Es tut mir leid, ich kann Ihnen das Medikament nicht geben. Ihre Krankenkasse hat keinen Vertrag mit dem Hersteller."

Nun beginnt die Suche nach einem wirkungsgleichen Präparat, das ein Rabatt-Arzneimittel bei Frau E.s Kasse ist. Als es gefunden ist, wendet die alte Dame ein: "Diese Tabletten hatte ich schon mal und konnte sie nicht schlucken, weil die Oberfläche so rau ist."

Andere Patienten, oft seit Jahren an ein bestimmtes Medikament gewöhnt, entwickeln beim wirkstoffgleichen Präparat einer anderen Firma Unverträglichkeiten, etwa allergische Reaktionen. Frau Grabs: "Das kann passieren, weil die Trägerstoffe anders sind." Studien belegten mittlerweile, dass viele Schmerzpatienten, denen nicht mehr ihr gewohntes, sondern das billigste Mittel abgegeben wurde, über eine Zunahme der Beschwerden klagten und wieder umgestellt werden mussten.

Um diese Problematik, die das Gesundheitswesen mehr Geld kostet - die angebrochene Packung wird nicht aufgebraucht, es erfolgt ein zusätzlicher Arztbesuch, eine Krankschreibung - zu umgehen, haben die Ärzte die Möglichkeit, ihren Patienten zu dem gewohnten und erprobten Medikament zu verhelfen - indem sie auf dem Rezept links neben dem Namen des Präparats ein Kreuzchen machen.

Das bedeutet, dass die Ersetzung des Medikaments durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ausgeschlossen ist. Auf Frau E.s Rezept fehlt indes das Kreuzchen, aber Frau Grabs greift schon zum Telefon und holt sich beim behandelnden Arzt das Einverständnis, selbst das Kreuzchen zu machen.

Schon betritt der nächste Kunde die Apotheke. Das gleiche Verfahren am Computer. Frau Grabs freut sich schon: Sie darf das verordnete Medikament abgeben, doch dann entfährt es ihr: "O je, warum müssen Sie denn soviel zuzahlen?" Ein paar Mausklicks, dann sieht sie: Die Kasse des Patienten übernimmt nur 60,98 Euro von dem 93,53 Euro teuren Medikament.

Ein wirkstoffgleiches billigeres Präparat gibt es nicht. Aber ähnliche. Frau Grabs berät den Patienten: "Nur eine Wirkstoffkomponente fehlt bei den anderen Herstellern, deren Medikament laut Patientenstudien genauso gut hilft." Doch der Patient will lieber auf Nummer sicher gehen und zahlt. Wenn die Verträge der Krankenkasse mehrere wirkungsgleiche Medikamente zulassen, achtet Frau Grabs darauf, möglichst ein zuzahlungsfreies auszuwählen.

Auffällig ist, dass kaum ein Kunde an diesem Morgen die Apotheke auch mit allen Medikamenten, die ihm verschrieben sind, verlässt. "Wir können einfach nicht alles vorrätig haben", erklärt Frau Grabs. "Wir haben die Schubladen voll mit Tabletten, die wir nicht abgeben dürfen, und wir können uns nicht auf den Bedarf einstellen, weil die Kassen ihre Verträge dauernd ändern." Das führe dazu, dass der Bote, der früher in 45 Minuten alle bestellten Medikamente abends ausgefahren habe, jetzt doppelt so lange brauche.

Besonders ärgerlich sei aber, dass es wegen der schwierigen Kalkulierbarkeit häufig auch beim Großhändler zu Engpässen komme: "Dann habe ich meinem Kunden ausführlich erläutert, dass das Medikament sehr gut ist, und dann bekomme ich es nicht und muss auf ein drittes ausweichen."

Dazu kommt der bürokratische Aufwand: Auf dem Rezept muss das bereits aufgedruckte Medikament durch das andere ersetzt werden. Oder die Apothekerin fragt bei Kollegen nach, die von anderen Großhändlern beziehen. Frau Grabs: "Wir helfen einander, aber es ist alles ein Mehraufwand."

Mit verstärktem Einsatz versucht sie, das Vertrauen der Patienten zu erhalten. Aber sie macht sich, gerade bei älteren und sehbehinderten Menschen, auch Sorgen: "Wenn sie dauernd mit anderen Bezeichnungen und Packungen umgehen müssen, passiert es viel leichter, dass sie Medikamente verwechseln."

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