Fraktionssitzung im abhörsicheren Wohnzimmer

Familie Simons, die an der Poppelsdorfer Allee wohnt, vermietete wie viele Bonner vor 60 Jahren einen ihrer Räume an einen Politiker - Dem gefiel die Wohnung so gut, dass er gleich seine Parteifreunde einlud

Fraktionssitzung im abhörsicheren Wohnzimmer
Foto: Heinz Engels

Bonn. Wer Herbert Simons das erste Mal besucht, sein Haus betritt und dem 82-Jährigen im Wohnzimmer die Hand schüttelt, der hat schon, ohne es zu ahnen, ein Kapitel Geschichte hinter sich gelassen.

Vorbei an der schweren Haustür, die den Druckwellen der Kriegsbomben standgehalten hat. Vorbei am dunkelbraunen Tisch aus Nussbaumholz, an dem vor 60 Jahren bayerische Landespolitiker über die Zukunft Deutschlands diskutierten. "Wir haben zwar ein großes Wohnzimmer, aber die Bude war schnell voll", erinnert sich Simons. "Erst recht, wenn Herren wie Konrad Adenauer oder Carlo Schmid vorbei kamen."

Dabei wollte seine Mutter eigentlich nur ein möbliertes Zimmer im Haus an der Poppelsdorfer Allee vermieten. So hatte es in der Zeitung gestanden. Doch die Rechnung hatte Familie Simons ohne ihren neuen Mieter, Dr. Hans Wutzlhofer, gemacht. Als der stämmige CSU-Politiker das geräumige, vom Krieg fast unbeschädigte Wohnzimmer sah, zögerte er nicht lange. "Sie haben aber ein schönes Wohnzimmer - das miete ich gleich mit. Ein guter Ort für unsere Fraktionssitzungen", sagte er der verdutzten Bonner Familie mit höflicher, aber entschiedener Stimme.

Der Platz war knapp, kurz vor dem 1. September 1948. Aus allen Teilen des Landes strömten Politiker, Ministerialbeamte und Journalisten nach Bonn und suchten hektisch nach Unterkünften. Was die räumliche Situation anging, gab die Stadt während der Bewerbungsphase um den Sitz des Parlamentarischen Rates sehr optimistische Zahlen an: Bis zu 500 Personen könne man ohne Schwierigkeiten unterbringen, "durchweg in ausgesuchten, guten und auch preiswerten Quartieren".

Tatsächlich brachten es die drei renommiertesten Hotels zusammen gerade mal auf 60 Zimmer, dazu kamen 250 Betten in privaten Wohnungen. Diese Fakten recherchierte der Bonner Historiker Helmut Vogt für einen Fachbeitrag, der Ende des Jahres in den Bonner Geschichtsblättern erscheint. Kein Wunder also, dass das Verkehrsamt schleunigst über die Presse nach privaten Unterkünften suchte. Zumal die Preise der Hotels gepfeffert waren, manch eines verlangte 24 Mark für ein Doppelzimmer. So wohnten letztlich nur etwa 20 von 65 Ratsmitgliedern in einem Hotel.

Für CSU-Mann Wutzlhofer, einen engagierten Mittvierziger aus Unterfranken, der zwar in die Verhandlungen involviert war, aber nicht im Parlamentarischen Rat saß, war die Wohnung an der Poppelsdorfer Allee ein Glücksgriff. "Er und seine Parteifreunde wollten bei uns ungestört ihre Sitzungen abhalten. Sie hatten Sorge, dass sie in einem Restaurant belauscht werden", erzählt Herbert Simons, der damals 23 Jahre alt war und Geschichte und Englisch studierte.

Seine Schwester Eva, zwei Jahre jünger, wartete noch auf einen Studienplatz - und wurde prompt von den bayerischen Politikern als Kellnerin engagiert. 50 Mark gab es dafür pro Monat, eine Menge Geld für die damalige Zeit. In der Küche schmierte sie Schnittchen, die Fahrer der Dienstwagen brachten Bier in die Wohnung. Ihre Wagen parkten sie kreuz und quer auf der Allee, unter mürrischen Blicken der Nachbarn, erinnert sich Simons - und muss lächeln, wenn er an die strengen Verkehrsregeln denkt, die heute vor der Haustür herrschen.

Die Bayern blieben nicht unter sich. Adenauer kam zu Besuch. Oder Carlo Schmid, der berühmte Staatsrechtler, das wird Herbert Simons nie vergessen. Schmid, der stattlich gebaut war, setzte sich mit zu viel Schwung auf einen Stuhl. Das schöne Möbelstück hielt dem Gewicht nicht stand. Schmid landete auf dem Hosenboden. Das Gelächter der CSU-Politiker - Herbert Simons erinnert sich, als wäre es gestern gewesen.

Nur wo er am 1. September während der konstituierenden Sitzung des Parlamentarischen Rates war, das weiß der Bonner nicht mehr. "Wahrscheinlich war ich in der Uni." Die Pädagogische Akademie kannte er dennoch sehr gut. Wie viele andere hatte er bei den eiligen Aufräumarbeiten in den Verhandlungsräumen geholfen. "Ich habe Eimer mit Teer geschleppt, für die Unterböden."

Hans Wutzlhofer, der Zwischenmieter, ließ ein Jahr später das politische Leben in Bonn hinter sich. Ganz anders erging es Familie Simons und den anderen Bonnern: Der Parlamentarische Rat war erst der Anfang der bundespolitischen Stadtgeschichte. Aber Fraktionen tagten fortan nicht mehr in Wohnzimmern.

Konzerte, Gespräche, Ausstellungen

Anlässlich des 60. Jahrestages des Parlamentarischen Rates lädt die Stadt Bonn zu mehreren Veranstaltungen ein. Unter dem Motto "Beethovens neunte Symphonie trifft das Bonner Grundgesetz" wird am Mittwoch, 10. September, das Abschlusskonzert von Kurt Masurs Beethoven-Sinfonien-Zyklus übertragen.

Die Live-Schaltung auf dem Marktplatz beginnt um 20 Uhr. Vorher, ab 18.30 Uhr, wird eine historische Filmdokumentation (etwa 15 Minuten) gezeigt, anschließend findet ein Gespräch mit Zeitzeugen statt.

Das Haus der Geschichte und die Volkshochschule laden für Dienstag, 11. November, zu einer Gesprächsrunde in das Bonner Bundesratsgebäude an der Görresstraße ein. Thema des Diskussionsabends, der um 19.30 Uhr beginnt, ist die Rolle des Bundesrates.

Auf dem Podium sitzt unter anderem Bernhard Vogel, der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Ab Freitag, 5. Dezember, ist im Haus der Geschichte eine neue Ausstellung zu sehen. Titel der Schau: "Flagge zeigen? Die Deutschen und ihre Nationalsymbole."

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