"Eltern sind heute überfordert" Expertin Andrea Heiliger über Gründe für den wachsenden Nachhilfemarkt

Bonn · Die Kritik an G8 ist mitunter groß. Die einzigen, die davon profitierten, seien die Nachhilfe-Institute, klagen Schüler und Eltern.

Man kann den Eindruck gewinnen, dass seit einiger Zeit die Anzahl der Nachhilfeinstitute stark zugenommen hat. Täuscht das?Andrea Heiliger: In Deutschland gibt es circa 4000 Nachhilfeeinrichtungen. Der Marktanteil institutioneller Nachhilfe liegt bei rund 30 Prozent. Der Rest verteilt sich überwiegend auf Lehrer, Studenten und Schüler.

Wie viele Schüler nehmen inzwischen Nachhilfe?
Heiliger: Laut Bertelsmann-Studie nimmt inzwischen jeder dritte Schüler während seiner Schullaufbahn mindestens einmal Nachhilfe in Anspruch. Sogar Grundschüler suchen einen Nachhilfelehrer auf, damit sie den Weg zum Gymnasium schaffen.

Sehen Sie einen Zusammenhang mit G8?
Heiliger: Der gefühlte Druck ist sicherlich höher. Aber Schüler, die neun Jahre bis zum Abitur brauchen, nehmen ebenso Nachhilfe in Anspruch. Der Lernstoff und das Lernpensum sind vor Abschlussprüfungen immer hoch.

Gibt es auch andere Ursachen für den Nachhilfe-Boom?
Heiliger: Seit dem PISA-Schock vor zehn Jahren und den zahlreichen Bildungsstudien sind die Eltern verunsichert. Die Empfehlung von Grundschülern zur weiterführenden Schule, G8, der Aufbau der Ganztagsschulen und die Diskussionen um die Hauptschule haben sie ebenso irritiert. Auch das gesellschaftliche Leben und die arbeitsmarktrelevanten Faktoren spielen eine Rolle.

Was meinen Sie damit konkret?
Heiliger: Häufig sind beide Elternteile oder die Alleinerziehenden berufstätig. Deshalb haben Eltern nicht genügend Zeit oder Geduld, um mit ihren Kindern zu lernen. Außerdem sind sie mit dem heutigen Lernstoff und den Lernmethoden überfordert.

Das heißt, auch weil die Eltern überfordert sind und ihnen selbst die Zeit fehlt, schicken sie ihre Kinder zur Nachhilfe?
Heiliger: Ja. Denn die Eltern betrachten die außerschulische Förderung als eine sinnvolle Ergänzung der Schulausbildung. Denn mit guten Noten möchten sie ihren Kindern den Weg erleichtern. Schließlich wissen sie, dass das Abschlusszeugnis der Grundstock für die berufliche Zukunft ihrer Kinder bedeutet.

Zur Person

Die 49-jährige Andrea Heiliger war bis 2012 als Pressesprecherin des Bundesverbandes Nachhilfe- und Nachmittagsschulen tätig und hat sich inzwischen auf Kommunikation zwischen Schule, Politik und Wirtschaft spezialisiert.

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