Interview mit Bundesbauministerin Barbara Hendricks "Es ist an der Zeit, sich den Realitäten zu stellen"

Bonn/Berlin · Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) sieht für Bonn langfristig keine Zukunft als Dienstsitz aller Bundesministerien und will die Bundesstadt stattdessen zum UN- und Wissenschaftsstandort ausbauen. Die Fragen stellte Holger Möhle.

Nach dem Bonn/Berlin-Gesetz soll mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze der Bundesministerien in Bonn bleiben, was aber längst nicht mehr eingehalten wird. Was ist von einem Gesetz zu halten, wenn selbst der Gesetzgeber sich weder dem Geist noch dem Buchstaben nach an dieses Gesetz hält?
Barbara Hendricks: Spätestens seit 2008 weiß jeder, dass der Bonner Anteil an den Arbeitsplätzen in den Bundesministerien unter 50 Prozent liegt. Diese Entwicklung entspricht nicht dem, was wir uns einmal vorgestellt hatten. Aber wir müssen sie zur Kenntnis nehmen und Schlussfolgerungen daraus ziehen. Meine Schlussfolgerung ist, dass es im Interesse der Stadt Bonn und der Region nicht bei einer ungesteuerten Entwicklung bleiben darf.

Wäre es dann nicht ehrlicher, den Bonnern reinen Wein einzuschenken und dieses Gesetz zu ändern?
Hendricks: Ich bin sehr dafür, die Debatte offen und ehrlich zu führen. Viel zu lange hat man sich davor gedrückt, diese Entwicklung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung und zwei Jahrzehnte nach dem Hauptstadtbeschluss ist es an der Zeit, sich den Realitäten zu stellen. Vordringlich ist es aber nicht, an Paragrafen zu schrauben, sondern mit allen Beteiligten zu reden und dann erst über notwendige Konsequenzen zu entscheiden.

In Ihrem Ministerium sitzt seit Monaten ein Arbeitsstab über Plänen, den sogenannten Rutschbahn-Effekt von Bonn nach Berlin in einen gesteuerten Prozess zu überführen. Worum geht es, um den Gesamtumzug aller Bundesministerien von Bonn nach Berlin?
Hendricks: Ich habe im Juli einen internen Arbeitsstab gebildet, der jetzt daran gehen wird, zunächst einmal einen soliden Sachstand zu ermitteln. Wie ist die tatsächliche Situation? Wie gehen die Ministerien im Rahmen ihrer Organisationshoheit mit der Aufteilung auf die beiden Standorte Bonn und Berlin um? Welche Planungen liegen vor? Welche Optimierungsideen gibt es? Der Statusbericht soll die Grundlage für die Gespräche bilden, die ich mit allen Beteiligten in dieser Legislaturperiode zu diesem Thema führen will.

Ist es dann langfristig realistisch, davon auszugehen, dass Bonn der Sitz der Bundesregierung bleibt?
Hendricks: Mein Ziel ist, eine langfristige Strategie zum weiteren Umgang mit der Aufteilung der ministeriellen Aufgaben auf die beiden Standorte für alle Bundesministerien zu entwickeln. Nur wenn wir diesen Prozess planvoll gestalten, verhindern wir die oftmals kritisierten Einzellösungen und schaffen für alle Beteiligten in Bonn und Berlin Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Unbestritten ist: Bonn ist und bleibt Bundesstadt und damit neben Berlin das zweite bundespolitische Zentrum der Republik. Der Bund wird daher auch in Zukunft herausragende Präsenz in Bonn zeigen. Aber Bonn ist heute schon mehr als das: Die Stadt ist auch Sitz mehrerer UN-Institutionen und entwickelt sich neben Genf und Wien zum dritten starken UN-Standort in Europa.

Warum hat sich die Teilung der Sitze der Bundesministerien nicht bewährt? Dass diese Teilung kosten würde, war von Anfang an klar?Hendricks: Zu den Kosten erwarte ich Aufschlüsse aus dem nächsten Teilungskostenbericht, der im Frühjahr 2016 vorgelegt wird. Bei diesem Thema geht es aber nicht nur um Kosten, sondern darüber hinaus um Funktionalität und Effizienz der Regierungsarbeit. Jedes Ministerium hat schließlich seine eigene Organisationshoheit, die auch durch das Berlin/Bonn-Gesetz nicht beschnitten wurde. Organisationsmaßnahmen in einzelnen Ressorts haben in den letzten Jahren auch zu Umstrukturierungen geführt - übrigens nicht nur zum Nachteil für Bonn. Auch solche Aspekte gilt es zu betrachten.

Wenn Sie sagen, dass Bonn für alle Ministeriumsbediensteten, die dort arbeiten, genügend Arbeitsplätze bieten soll, nur eben nicht zwingend in Ministerien, bedeutet das am Ende doch den Gesamtumzug aller Bundesministerien?
Hendricks: Zum jetzigen Zeitpunkt geht es darum, endlich einen gesteuerten Prozess zu gewährleisten. Für Festlegungen ist es zu früh, solange der angeforderte Statusbericht nicht vorliegt. Aber Niemand kann doch diesen ungesteuerten Rutschbahneffekt wollen.

Ist Ihr Vorgehen mit der Stadtspitze in Bonn, mit dem Oberbürgermeister, abgestimmt?
Hendricks: Sobald Herr Sridharan sein Amt als neuer Oberbürgermeister von Bonn angetreten hat, werde ich mich selbstverständlich mit ihm - wie auch mit anderen politisch Verantwortlichen in der Stadt, der angrenzenden Region und dem Land - zur dieser Thematik austauschen. Dies habe ich bereits angekündigt.

Gibt es als Ausgleich für den Verlust von Bundesministerien konkrete Initiativen, weitere UN-Sekretariate nach Bonn zu holen, damit Bonn auch offiziell UN-Stadt wie Genf oder Wien wird?
Hendricks: In den vergangenen Jahren ist es gelungen, 18 Organisationen und Sekretariate der Vereinten Nationen im Bonner UN-Campus anzusiedeln und Bonn als zeitgemäßen Büro-, Konferenz- und Tagungsbetrieb für die UN zu etablieren. Die Fertigstellung des World Conference Center Bonn hat mein Haus mit über 14 Mio. Euro gefördert. Für weitere Investitionen wurden 17 Mio. Euro mit dem Nachtragshaushalt bewilligt, mit denen Bonn als UN-Standort gestärkt werden soll. Ich wünsche mir, dass Bonn als Sitz internationaler Einrichtungen noch attraktiver wird und seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen europäischen UN-Städten wie Genf oder Wien steigt.

Sie als Nordrhein-Westfälin aus Kleve müssten eigentlich ein Herz für Bonn haben. Im Koalitionsvertrag steht: "Wir stehen zum Bonn-Berlin-Gesetz. Bonn bleibt das zweite bundespolitische Zentrum." Welche Bedeutung kommt der Bundesstadt in Zukunft zu?
Hendricks: Bonn bleibt das zweite bundespolitische Zentrum. Zu dieser Aussage stehe ich als Frau vom Niederrhein im Besonderen. Allerdings gilt es, die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und daraus das Beste für Bonn und das Umland zu machen: tragfähige Strukturen zu entwickeln, die der gesamten Region Arbeit und Zukunft bieten. Das ist die Verantwortung, die ich für Bonn und die Region wahrnehme.

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