Einen zweiten Blick wagen

BONN · Verein für Gefährdetenhilfe zeigt Porträts von Obdachlosen und Suchtkranken im Kalender

Eindrucksvolle Porträts von Cynthia Rühmekorf (2. v.r.) sind im Rheinpavillon zu sehen.

Eindrucksvolle Porträts von Cynthia Rühmekorf (2. v.r.) sind im Rheinpavillon zu sehen.

Foto: Volker Lannert

Den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt, das Kinn auf die rechte Hand gestützt und die Stirn in Falten gelegt, so ist die Haltung einer der berühmtesten französischen Skulpturen: "Der Denker" von Auguste Rodin. Thorsten Ruhnow nimmt eine ähnliche Pose ein, nicht in Stein gemeißelt, aber auf einer Fotografie.

Unter dem Porträt steht das berühmte Novalis-Zitat "Nach innen geht der geheimnisvolle Weg". Wie ein Literaturkritiker sieht Ruhnow auf dem Foto aus, doch was im Moment dieser Aufnahme wirklich in ihm vorging, bleibt ein Geheimnis. Wenn man sich mit seiner Lebensgeschichte beschäftigt, lassen sich seine Gedanken zumindest erahnen.

Der 36-Jährige ließ sich für den neuen Kalender des Vereins für Gefährdetenhilfe (VFG) ablichten. Unter dem Motto "Auf den zweiten Blick ..." porträtierte die Fotografin Cynthia Rühmekorf 13 Menschen, die durch Obdachlosigkeit oder eine Suchterkrankung am Rande der Gesellschaft stehen.

"Den Kalender gibt es bereits seit sieben Jahren, aber dieses Jahr wollten wir unsere Klienten zeigen, und zwar in ihrer ureigensten Schönheit", so Rühmekorf, die auch für die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des VFG arbeitet.

Thorsten Ruhnow wuchs in Hannover bei seiner Mutter auf. Sein Bruder wurde ermordet. Mit 15 Jahren kam er erstmals in Kontakt mit Drogen. "Ich habe Hasch, LSD und Designerdrogen genommen. Mit 20 Jahren habe ich mir dann Heroin und Kokain gespritzt", berichtete er. Von 1999 bis 2000 machte er eine Therapie in der Eifel, 2001 kam er nach Bonn ins Elisabeth-von-Thadden-Haus, wo er bis 2003 lebte. "Man diagnostizierte bei mir sowohl eine psychische als auch eine Suchterkrankung", so Ruhnow weiter.

2003 wurde er rückfällig und obdachlos. Vor gut einem Jahr erkrankte er an einer Lungenentzündung. Abszesse hatten sich durch den Drogenkonsum in seiner Lunge gebildet. Dann fanden die Ärzte heraus, dass er sich mit HIV infiziert hat. "Das hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Ich bin deswegen sehr deprimiert", sagte er traurig. Seit Mitte 2011 hat er wieder ein Dach über dem Kopf und ist im Methadonprogramm. Ruhnow bemüht sich um eine Reintegration in die Gesellschaft.

"Am Anfang waren die meisten sehr schüchtern, aber sie sind während des Shootings immer lockerer geworden", erinnerte sich Rühmekorf. "Bei einem Teilnehmer hatte ich nur 20 Sekunden Zeit für die Aufnahme, danach hatte er schon die Lust verloren". Susanne Fredebeul vom VFG meinte: "Das Schlimmste für die Menschen auf der Straße ist das Unsichtbar sein und das Übersehen werden."

Es sei wichtig, den Menschen mit Liebe zu begegnen und ihnen einen liebevollen Blick zu schenken. Die farbigen Porträts sind auch in Groß und Schwarz-Weiß zu bewundern. "Wir wollen versuchen, die Bilder im Bundestag und im Landtag auszustellen", so der Verein.

Der Kalender kostet zehn Euro und ist über die VFG Öffentlichkeitsarbeit, Am Dickobskreuz 6, 0228/9 85 76 28 zu beziehen. Mehr im Internet: www.vfg-bonn.de.

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