Klimakonferenz in Bonn Die Welt sucht den Tritt aufs Bremspedal

Bonn · Nach dem umjubelten Pariser Klima-Abkommen beginnt jetzt in Bonn die Kärrnerarbeit. Im internationalen Einigungsprozess drohen jedoch Rückschläge: So könnte der Republikaner Donald Trump, würde er zum Präsidenten des zweitstärksten Treibhausgas-Verursachers gewählt, gleich wieder den Stecker ziehen und die USA von allen Sparzwängen befreien.

Donald Trump sagt viel, hat aber noch nichts zu sagen. Sollte es nach den US-Präsidentschaftswahlen am 8. November anders sein und der Kandidat der Republikaner ins Weiße Haus einziehen, würden beim zeitgleich stattfindenden 22. UN-Klimagipfel in Marrakesch (Marokko) die Alarmglocken läuten. Denn der nach China zweitgrößte Treibhausgas-Verursacher der Erde ist ein entscheidender Spieler am internationalen Verhandlungstisch. Die Republikaner halten es in dieser Frage wie Mohamad Al-Sabban, Energieminister des großen Ölexporteurs Saudi-Arabien, der gebetsmühlenartig auf jeder Konferenz sagt: „Unser Vertrauen in die Klimaforscher und ihre Erkenntnisse ist zutiefst erschüttert.“

So vornehm formuliert es Trump im Vorwahlkampf nicht. Der populistische Stimmenfänger erklärt den Amerikanern gerade, dass die menschengemachte Erwärmung des Planeten „Bullshit“ sei. Trump: „Ich glaube, es ist nur das Wetter, es ist mal kälter, mal wärmer.“ Hinter der ganzen Klimahysterie stecke vielmehr die größte Treibhausgas-Weltmacht: „Das Konzept der Erderwärmung ist von und für Chinesen gemacht worden, um unsere Industrien weniger konkurrenzfähig zu machen.“ Für Professor Matthew Nisbet, Kommunikationsforscher an der Northeastern University in Boston, ist der Fall klar. Dem ORF sagte er: „Donald Trump als Präsident wäre eine Katastrophe für den Klimaschutz auf der ganzen Welt. Wenn es um komplexe Probleme geht, zeichnen sich die meisten seiner Positionen durch Ahnungslosigkeit aus.“

Dass es so kommen könnte, hatten die Politiker aus 195 Staaten bereits im vergangenen Dezember in Paris beim 21. UN-Klimagipfel auf dem Schirm. Deshalb akzeptierten sie einen schmerzhaften Kompromiss: Ein Verhandlungsergebnis, wonach die alten Industriestaaten ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar in einen Fonds für Klimawandel-Schäden einzahlen, wurde vom verbindlichen Teil des Pariser Klima-Abkommens in den unverbindlichen geschoben. Durch dieses Manöver muss der von den Republikanern beherrschte US-Kongress dem Abkommen nicht zustimmen, sondern nur das Weiße Haus, wo noch Noch-Präsident Barack Obama sitzt. Das bedeutet aber auch, dass Trump, würde er gewählt, sofort den Stecker ziehen könnte. Der Trick von Paris ermöglicht, dass die USA erst einmal weiter am internationalen Verhandlungstisch sitzen.

Das von Diplomaten als „historisches Ereignis“ oder „Meilenstein“ gefeierte Paris-Abkommen löst das wirkungslose Kyoto-Protokoll ab, das sonst 2020 ohne Nachfolge-Vereinbarung ausgelaufen wäre. Nach Jahrzehnten frustrierender, weil ergebnisloser Verhandlungen zur Klimarettung endlich ein Erfolg. Alle 195 Staaten hatten zugestimmt: Erdölexportierende Länder ebenso wie im Pazifik untergehende Inselreiche oder bisherige Klimaschutz-Verweigerer wie die USA und China, dazu alte und neue Industriestaaten, Schwellenländer wie Brasilien oder Südafrika und die ärmsten Länder der Welt. Bei so extrem unterschiedlichen Interessenlagen konnte nur ein Konsenspapier entstehen, dass Kritiker als „schwammig“ oder „wenig ambitioniert“ bezeichnen. Nach der ersten diplomatischen Erfolgsetappe begann gestern in Bonn (siehe Artikel unten) die mühselige Kleinarbeit. Das wird kein Spaziergang, denn das Paris-Abkommen ist weitgehend nur eine Absichtserklärung. Zwar völkerrechtlich verbindlich, wenn ausreichend viele Staaten es ratifizieren, aber gleichzeitig sind Sanktionen nicht vorgesehen, wenn ein Staat die Atmosphäre weiterhin als kostenlose Gasmülldeponie missbraucht – mit Klimafolgen für alle anderen. Auch das hat manchem Staat die Unterschrift erleichtert, zudem die gesamte Ausrichtung des Abkommens: Nichts wird vorgeschrieben, sondern die Länder können selbst bestimmen, mit welchen konkreten Maßnahmen sie das globale Ziel unterstützen, wonach die Erdwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt werden soll.

Bisher haben 189 Staaten ihre nationalen Klimaschutzpläne der UN vorgelegt. Das Ergebnis ist ernüchternd: Sofern die Staaten ihre Zusagen alle einhalten, landet die globale Erwärmung bei rund 2,7 Grad Celsius. Folglich muss nachgebessert und die erhebliche Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit geschlossen werden. Das wird angesichts eines zwar gebremsten, aber weiter fortschreitenden Bevölkerungswachstums mit steigendem Energie- und Nahrungsbedarf ein Herkulesakt.

„Die Ära des Konsums ohne Konsequenzen ist vorbei“, hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kürzlich in New York gesagt. „Wir befinden uns in einem Wettlauf gegen die Zeit.“ Wissenschaftler hatten in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder auf die Dynamik der Entwicklung hingewiesen, die durch die vom Menschen freigesetzten Treibhausgase ausgelöst wird. In 100 Jahren vollzieht sich eine Erwärmung, die nach der letzten Kaltzeit rund 5000 Jahre dauerte, was klimatisch ein Hochgeschwindigkeits-Zeitalter bedeutet. Es stellt höchste Herausforderungen an die Anpassung des Menschen und wird manches Ökosystem überfordern. Zwei Drittel der Menschheit werden 2050 in Städten, meist Megacities, leben, 100 Jahre zuvor war es nur ein Drittel. Deshalb geraten die Kommunen der Welt auch besonders in den Klimaschutz-Fokus.

Die Botschaften aus der realen Welt unterstreichen die Mahnung von Ban Ki Moon, denn parallel zu allen diplomatischen Erfolgen ist die Welt-Kohlendioxidemission unvermindert weiter gestiegen. In Deutschland hat die Energiewende gar für ein Paradox gesorgt: Mehr Strom aus Sonne und Wind bedeutet erst einmal mehr Treibhausgas-Ausstoß, weil abgeschaltete Atommeiler durch Braunkohle-Kraftwerke ersetzt wurden.

Unterdessen mehren sich die Warnzeichen, dass der Klimawandel sich schneller als erwartet vollzieht. Größte Sorge bereitet nach Grönland die Westantarktis. Verflüssigt sich deren Eis, würde der Meeresspiegel um drei Meter steigen. Stärker ins öffentliche Bewusstsein drängen jedoch tägliche Wetterextreme rund um den Globus. Hier regnet es zu viel, dort zu wenig. Auch die jüngste Flammenwand in der kanadischen Provinz Alberta soll nach Erkenntnissen der dortigen Universität mit dem Klimawandel zusammenhängen: Erst schmilzt der Schnee früher als sonst, dann saugt ungewöhnlich warme Mai-Luft von über 35 Grad die Feuchtigkeit aus Böden und Vegetation, schließlich braucht es nur einen Blitzeinschlag, um das Inferno zu entfachen. Um 19 Prozent habe sich die Brandsaison weltweit zwischen 1979 und 2013 verlängert, so eine US-Studie aus South Dakota.

Auf die diplomatische Euphorie von Paris folgt jetzt die Nagelprobe in Bonn. Noch hat die internationale Klimadiplomatie zu nichts geführt, was die Atmophäre messbar entlastet.

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