Bonner "Aktion Gemeinsinn" Die älteste Bürgerinitiative Deutschlands

BONN · Die Idee ist simpel. Fast schon zu simpel. Man nehme ein gesellschaftspolitisches Thema, das dringend Aufmerksamkeit oder einer Veränderung bedarf, mache dieses bundesweit durch Medienkampagnen publik und sorge damit dafür, dass die Bürger sich engagieren. Auf diesem - zugegeben deutlich vereinfachten - Grundprinzip fußt die Arbeit der ältesten Bürgerinitiative Deutschlands.

1953 bringt Carl-Christoph Schweitzer, Gründer der "Aktion Gemeinsinn" mit Sitz in Bonn, die Idee aus den USA nach Deutschland. Schweitzer, zu dieser Zeit als Referent der damals neu gegründeten Bundeszentrale für politische Bildung in den Staaten unterwegs, ist gleich von dem amerikanischen Vorbild, dem "National Advertising Council" begeistert.

"Die Idee war, die Werbebranche und die Medien davon zu überzeugen, einmal im Jahr eine Kampagne im Interesse des Gemeinwohls umsonst zu produzieren und als Anzeige in den Zeitungen umsonst zu drucken", erinnert er sich. Zurück in Deutschland benötigt er knapp zwei Jahre, um das Projekt auf die Beine zu stellen. Das ist nun 55 Jahre her.

Gleich die ersten Kampagnen gehören zu den größten Erfolgen der Initiative und verdeutlichen das Prinzip: Unter dem Titel "Wer hilft ihr?" lässt die "Aktion Gemeinsinn" 1959 per Anzeige in nahezu allen deutschen Tageszeitungen zur ehrenamtlichen Mitarbeit in Krankenhäusern an Wochenenden aufrufen - und rund 10 000 Frauen melden sich. Drei Jahre später setzt der Verein sich gegen die Ausgrenzung älterer Menschen ein, was zur Gründung des Kuratoriums Deutsche Altershilfe führt.

Denkanstöße geben. Das ist der Kern der Arbeit des heutigen Ehrenvorsitzenden Schweitzer, der rund 20 ehrenamtlichen Helfer im Bonner Büro sowie der Mitglieder aus ganz Deutschland. "Jedes Jahr wählen wir ein Thema, das uns dringlich erscheint und versuchen, das Bewusstsein der Bevölkerung dafür zu schärfen, so dass Bürger selbst die Initiative ergreifen", sagt er. Viele der Themen tauchen im Verlauf der Jahrzehnte immer wieder auf.

Integration von Ausländern oder Umweltschutz etwa. "Es wachsen neue Generationen heran, die wir mit den Themen immer wieder konfrontieren wollen", erklärt Schweitzer. Dazu gehört auch der Zusammenhalt der Völker. In den 90er Jahren standen die Wiedervereinigung und das Vertrauen zwischen Ost und West mehrfach im Vordergrund. 2012 ist es das Bewusstsein für ein gemeinsames, starkes Europa.

"Mal unwissenschaftlich ausgedrückt: Viele denken doch: Warum schicken wir unser Geld nach Griechenland, wenn wir in Deutschland selbst genug Probleme haben? Aber wir dürfen nicht vergessen, dass Deutschland von der EU auch sehr stark profitiert hat, im Jahr 2011 zum Beispiel gingen rund 59,9 Prozent unserer gesamten Exporte in die EU-Staaten." 60 Jahre, resümiert der Historiker, habe man sich um Europa bemüht, das dürfe auf keinen Fall aufgegeben werden.

So weit, so gut. Aber was kann man in diesem Fall mit Bürgerengagement erreichen? Bei Europa handelt es sich schließlich nicht um einen Senioren, dem man im Altersheim ein Buch vorliest oder eine Obdachlosenhilfe, in der man Essen austeilt. Die Entscheidungen, was mit Europa passiert, fällen schließlich die Politiker. "Richtig", sagt Schweitzer. "Und ganz genau da beginnt die Bürgerpflicht. Nehmt eure Abgeordneten - vor allem jetzt auch die Europa-Abgeordneten - in die Zange", appelliert er. "Bürger, macht Krach! Und fragt: Was tut ihr eigentlich für mich? Und vor allem: Geht wählen!"

Denn, so Schweitzer, wir sind nicht nur Deutsche, sondern auch EU-rechtlich seit einigen Jahren Unionsbürger. Und da haben alle ein Recht mitzureden.

Infos im Internet: www.gemeinsinn.de

Aktion Gemeinsinn:
Die Aktion Gemeinsinn e.V. wurde 1957 von dem Politikwissenschaftler Carl-Christoph Schweitzer gegründet. Die Aktion finanziert sich ausschließlich mit Spenden. Rund 80 000 Euro benötigt der Verein jährlich, um die Kampagnen auf die Beine zu stellen. Schweitzer war von 1969 bis 1990 Professor an der Universität Bonn und vertrat den Wahlkreis Ahrweiler/Mayen zwischen 1972 und 1980 zweimal als Abgeordneter der SPD im Bundestag.

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