"Starke Stimmen Bonn" Der Chor soll Menschen eine Stimme geben, die sonst kaum zu Wort kommen

BONN · Arthur (Name geändert) hat seine Stimme wiedergefunden. Er ist kein Mann großer Worte. Denn Blick gesenkt, die Augen hinter der Schirmmütze versteckt, so läuft er im Blaumann über die Gänge des Obdachlosenheims der Caritas "Prälat-Schleich-Haus", wo er wohnt.

 Die Musikpädagogin Gerda Rundel (rechts) fordert bei den Stimmübungen vollen Körpereinsatz ein. Pfarrerin Grit de Boer (hinten links) unterstützt den Chor nach besten Kräften.

Die Musikpädagogin Gerda Rundel (rechts) fordert bei den Stimmübungen vollen Körpereinsatz ein. Pfarrerin Grit de Boer (hinten links) unterstützt den Chor nach besten Kräften.

Foto: Volker Lannert

Er stellte auch keine Fragen, als seine Bekannten einmal in der Woche in einem Raum des Hauses verschwanden, um dort zu singen, im Chor mit dem Namen "Starke Stimmen Bonn". Ein ganz besonderer Chor, der sich in aus Sängern zusammensetzt, die zum Teil ohne feste Bleibe sind. Während Arthurs Bekannte dort sangen, putzte er den Flur und stieß mit seinem Wischmopp immer wieder gegen die Tür. Bis Pfarrerin Grit de Boer, die Initiatorin des Chors, ihn hereinbat.

Jetzt steht Arthur in der Kapelle des Altenheims Marienhaus, vor ihm die Gäste der Adventsfeier der Bahnhofsmission. Er trägt einen schwarzen Anzug. Manchmal schafft er es, den Blick von den Notenblättern abzuwenden und ins Publikum zu blicken. Arthur singt mit den "Starken Stimmen Bonn" das Lied "Go tell it on the mountain". Es ist der erste öffentliche Auftritt des Chors, den de Boer vor wenigen Monaten gegründet hat.

"Es ist ein Angebot für Menschen, die in der Gesellschaft keinen Platz haben", sagt de Boer, evangelische Pfarrerin und Leiterin der Bahnhofsmission, über das Projekt, das mit Spenden der Bürgerstiftung ermöglicht wird. Es seien auch Menschen dabei, die den Chor einfach stimmlich unterstützen. "Hier passieren Sachen, die diese Menschen nicht kennen", sagt die Pfarrerin. Sie würden Anerkennung, Wertschätzung und Respekt erfahren sowie die Fähigkeit, aufeinander zu hören. Und nicht zuletzt: Die Stimme zu benutzen. Im Chor. Und darüber hinaus.

Dabei hilft die Musikpädagogin Gerda Rundel. Am Tag vor dem ersten Auftritt steht sie im Probenraum des Chors. Chormitglied Brigitte Schuckert läuft von einem zum anderen, um ihre Weihnachtsgeschenke zu überreichen. Die 69-Jährige hat kleine Taschen gestrickt und Bonbons reingesteckt. An den Wänden stapeln sich gespendete Geschenke.

Rundel reckt den Zeigefinger in die Luft, mit dem anderen schlägt sie eine Taste des Klaviers an, das schon bessere Tage gesehen hat. "Ohhh", singt Rundel, dann "Iiih", und der Chor singt es nach. "Denken Sie jetzt nicht an eine Spinne, sondern an etwas Schönes, nehmen Sie die Arme dazu und öffnen sich". Voller Körpereinsatz ist auch Rundel nicht fremd, sie springt zwischen Klavier und Chor hin und her, ruft ihre Anweisungen und fordert fingerschnippend mehr Aufmerksamkeit. Das "Aaaah" der Sänger ist ihr zu fad. "Wie oft noch schlafen?", ruft sie. "Sechs Mal", kommt es aus der Gruppe. "Aaaaaah", das klingt doch ganz anders. "Und zwischendurch noch ein Weltuntergang", ruft ein Säänger dazwischen. "Quatsch", hält Rundel dagegen, "bei uns in Bonn geht nix unter, wir sind die Starken Stimmen".

"Oder die Cacophonics", brummt Kenneth Harvey, 60 Jahre alt, gebürtiger Londoner und um keinen flotten Spruch verlegen. Beziehungen und der Wunsch, die Welt zu sehen, haben ihn weit herumkommen lassen. Seit zehn Jahren lebt er in Bonn, arbeitet ehrenamtlich bei der Bahnhofsmission. Er ist gelernter Instrumentenbauer, ein begeisterter Musiker, der mit Hut und Saxofon auf den Straßen dieser Welt Musik gemacht hat. Nur von seiner Stimme ist er nicht überzeugt. Also entschied er sich für einen Chor, bei dem es nicht so wichtig ist, ob man gut singt. "Es macht Spaß. Es gibt nichts besseres, als gemeinsam Musik zu machen", sagt Harvey.

Doch jetzt wird es ernst, das Weihnachtskonzertrepertoire muss noch mal geprobt werden. Los geht es mit "Go tell it on the mountain", gefolgt von "Macht hoch die Tür" und "Zu Betlehem geboren". Rundel freut sich auf das "schöne, alte Kölner Weihnachtslied", und diese Freude soll sich auf die Gruppe übertragen. "Die Mappe hoch, und schauen Sie mal richtig majestätisch", ruft sie einem Sänger zu. Dieser quittiert das mit einem sehr konzentrierten Blick in die Noten. "Sehr schön", ruft Rundel in den Raum und greift in die Tasten. Das "Ruh" von "Stille Nacht, heilige Nacht" schmeckt ihr gar nicht. "Das ist nicht schön, das leiern Sie", sagt sei.

Nach anderthalb Stunden ist die Probe vorbei. Noch ein paar Takte zur Garderobe für den großen Auftritt, dann folgt das Abschlusslied, ein kleines Ritual nach jeder Chorprobe. "Gute Nacht Freunde", sibgr der Chor. Rundel spielt die Melodie an. "Das Klavier ist verstimmt", stellt sie fest. Nicht so schlimm. Ein paar Misstöne sind bei den "Starken Stimmen Bonn" kein Beinbruch.

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