Claudia Lücking-Michel CDU-Politikerin sitzt seit 100 Tagen im Bundestag

BERLIN/BONN · "Claudia Lücking-Michel, ich bin neue Abgeordnete", stellt sich die CDU-Politikerin einigen Leuten vor. Dann setzt sie sich an die lange Tafel, nah an die Geschäftsleitung der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften, kurz Acatech.

 Die Bundestagsabgeordnete Claudia Lücking-Michel vor dem Reichstagsgebäude in Berlin.

Die Bundestagsabgeordnete Claudia Lücking-Michel vor dem Reichstagsgebäude in Berlin.

Foto: Uwe Steinert

Diese hat 300 neue Abgeordnete in das Jakob-Kaiser-Haus im Bundestag zum Mittagessen eingeladen. Als Lücking-Michel, die mittlerweile 100 Tage im Bundestag sitzt, von der Frau gegenüber erfährt, dass sie für Acatech arbeitet, kommt die 51 Jahre alte Bundestagsabgeordnete gleich zur Sache: "Wie finanziert sich Acatech?"

Warum sie das wissen wolle, erwidert die Angesprochene. Das sei immer eine ihrer ersten Fragen. Es gebe das schöne Zitat: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing", schließt Lücking-Michel an. Und sie wolle sich nicht vereinnahmen lassen. Als sie hört, dass Acatech sich vom Bund und den Ländern, projektbezogen und aus Spenden finanziert, nickt sie.

Es gibt Braten. Der Generalsekretär von Acatech begrüßt die Gäste und sagt in seiner kurzen Rede auch: "Die Aufgabe von Acatech ist die Politikberatung." Darauf könnte Lücking-Michel gut zurückgreifen, gerade bei naturwissenschaftlichen und technischen Themen. Sie geht nicht zu jeder Einladung, zum Beispiel von Industriefirmen: "Das ist doch meistens klar, was sie von mir wollen." Sie nimmt dort höchstens teil, wenn diese ihre Ausschüsse betreffen.

Schräg gegenüber von ihr sitzt Gisela Manderla, Abgeordnete aus Köln, auch CDU. Beim NRW-Landesgruppentreffen setzt sich Lücking-Michel oft neben sie. Die Untergruppierungen der Riesenfraktion sind der Abgeordneten wichtig, so auch die Gruppe der Frauen. In der großen Fraktion habe jeder eine andere Dynamik. Sie merke, dass es auf Konflikte hinauslaufe. "Es kann der Tag kommen, an dem ich auch mal gegen die Fraktionsmeinung stimme", sagt sie. Eine Große Koalition sollte ihrer Ansicht nach eine Ausnahme sein, schon allein wegen der geringen Redezeiten der Opposition.

Das Mittagessen im Bundestag ist vorbei. Lücking-Michel wird mit den Gastgebern fotografiert und schüttelt Hände. Dann geht sie unterirdische Gänge entlang, um in ihr Büro zu kommen. Sie bleibt kurz stehen, als sie ein schwarz-weißes Foto an einer Wand hängen sieht, auf dem das erste Plenum in Bonn abgebildet ist. Unter dem Foto stehen vier Stühle, mit dunklem Leder überzogen, ebenfalls aus dieser Zeit. "Diese karge und versteckte Ansammlung soll an die Regierungszeit an Bonn erinnern. Das ärgert mich immer wieder", sagt sie und geht weiter.

Mit dem Aufzug fährt sie in den sechsten Stock und geht in ihr Büro, das vorher einer FDP-Abgeordneten gehörte: JKH 6.636. Was sie an ihrem neuen Amt überrascht habe, sei, dass manch einer aus ihrem Wahlkreis nun auch mit persönlichen Problemen zu ihr käme. Da sei sie nun als Seelsorgerin, Psychologin und Politikerin gefragt. Aus dem Fenster sieht sie andere Büroräume, dahinter verbirgt sich der Reichstag. Beruflich ist Berlin interessant für sie, aber: "Ich möchte nie ganz nach Berlin ziehen, aus Bonn möchte ich nicht weg." In Berlin fühlt sie sich wohl, aber in Bonn wohnt ihre Familie.

In ihrem Büro hängt an der Wand bisher nur ein buntes Bild. Das sei ein Abschiedsgeschenk des Cusanuswerks. Eine Tür ist darauf zu sehen, die sich öffnet. "Dass ich in die Politik gekommen bin, hat viel damit zu tun, dass ich als Christin die Gesellschaft mitgestalten möchte", sagt sie. Mit ihrem Mann hat sie intensive Diskussionen über das Thema Frauen und Karriere geführt.

Es war klar, dass beide ihren Beruf ausüben werden. Politik werde zwar hauptsächlich von Männern gemacht, aber "das Schulungsfeld für mich in der Politik war die katholische Kirche. Da ist es noch schlimmer". Bei Misereor war sie die einzige Frau, die Jüngste und wurde dann noch Abteilungsleiterin.

Sie habe "viel Lehrgeld durch Scheitern gezahlt", sagt sie. Denn Männer förderten einen so lange, wie man ihnen nicht gefährlich werde, um zum Beispiel von Platz 100 auf 95 zu kommen. Bis heute hätten ihr viel Mentorinnen geholfen. Ob sie einen Ministerposten anstrebe? "Mindestens", sagt sie und lacht. "Nein", aber sie sei hier, weil sie etwas bewirken wolle, und das könne man in höheren Positionen weitaus besser.

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