Nach Spritze für immer gelähmt Bonner gewinnt Prozess vor Oberlandesgericht

BONN · Willi Schildchen plagte seit Jahren schon ein Leiden, das er mit vielen Menschen teilt: Rückenschmerzen. Nach einem Bandscheibenvorfall entschied sich der Bonner für eine Behandlung, die sein Leben verändern sollte. Der 58-Jährige ist nach einer Lumbalinfiltration vor acht Jahren querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl.

 Seit acht Jahren ist Willi Schildchen, hier an seinem Arbeitsplatz in der Volksbank, an den Rollstuhl gefesselt.

Seit acht Jahren ist Willi Schildchen, hier an seinem Arbeitsplatz in der Volksbank, an den Rollstuhl gefesselt.

Foto: Axel Vogel

Nach einem langen Streit vor Gericht gegen die Versicherung der Arztpraxis, in der er als Patient behandelt worden war, hat Schildchen am Ende gesiegt. Nachdem das Landgericht Bonn seiner Klage nicht stattgegeben hatte, zog er vor die nächste Instanz zum Oberlandesgericht Köln. Dort obsiegte er und nachdem auch die höchste Instanz, der Bundesgerichtshof im Juli 2011 entschieden hatte, das OLG Köln hat Recht, erhielt er zunächst 200.000 Euro als Schmerzensgeld (BGH: AZ VIZR 22/11).

Doch das Geld reicht nicht aus, um all das zu finanzieren, was er seit dem Schicksalsschlag für ein menschenwürdiges Leben benötigt. Dafür seien weitere "bis zu 800.000 Euro nötig", sagt Schildchens Anwalt Malte Oehlschläger, Fachanwalt für Medizinrecht aus der Kanzlei Quirmbach und Partner in Montabaur. Und die wird sein Mandant wohl auch erhalten.

"Die Richter haben anerkannt, dass mein Mandant nicht ausreichend über die Risiken eines solchen Eingriffs aufgeklärt worden war", erklärt Oehlschläger, "also, dass er möglicherweise hinterher sogar querschnittsgelähmt sein könne." In die Waagschale Justizias habe er auch den Vorwurf gelegt, dass Schildchen Opfer eines ärztlichen Kunstfehlers geworden sei. "Doch der braucht nicht mehr nachgewiesen zu werden. Denn bei einem Aufklärungsfehler haftet der Arzt auch ohne Behandlungsfehler", sagt der Anwalt.

Schildchen kann sich noch gut an jenen Tag im Februar erinnern, als er mit seinem Schwager in die Radiologenpraxis fuhr, wo ihm seine Orthopädin die Spritze setzen wollte. "Eigentlich hatte sie mir gesagt, ich könnte nach der Behandlung auch wieder selbst mit dem Auto nach Hause fahren", sagt er, "ich würde wohl lediglich ein gewisses Taubheitsgefühl in den Beinen verspüren." Doch irgendwie sei ihm wohler bei dem Gedanken gewesen, ein Angehöriger begleite ihn. Nie im Leben habe er daran gedacht, er könnte, wie es ihm dann geschah, wenig später auf der Intensivstation der Uni-Klinik Bonn landen.

"Nachdem mir die Ärztin die Nadel in den Rücken eingeführt hatte und sie sagte, ich könne jetzt wieder aufstehen, verspürte ich, wie mir plötzlich die Beine heiß wurden und sich meine Blase entleerte", erinnert sich Schildchen. Danach hatte er kein Gefühl mehr in den Beinen. "Wenn ich gewusst hätte, dass auch eine Querschnittslähmung drohen konnte, dann wäre ich auf dem Absatz umgekehrt und gegangen", sagt er.

Der ehemalige Leiter der Volksbank-Filiale in Königswinter ist nicht nur ohne Hoffnung, jemals wieder gehen zu können. Er leidet zudem unter Harninkontinenz und hat einen künstlichen Darmausgang. Zudem kann er seine Tätigkeit als Filialleiter nicht mehr wie vorher ausüben und musste sich nach seiner Rückkehr aus der Reha nach einer neuen, behindertengerechten Wohnung umsehen.

Über seine damalige Anwältin lernte Schildchen Oehlschläger kennen. Die Juristin konnte ihn nicht länger vertreten, weil sie ein Richteramt übernommen hatte, so empfahl sie Oehlschläger, einer ihrer ehemaligen Studienfreunde. Eine gute Empfehlung, findet Schildchen heute, der sich dem Anwalt zu tiefem Dank verpflichtet fühlt. Schildchen erinnert sich nur ungern an die Schriftwechsel mit den Versicherungen. "Das hat mich schon sehr mitgenommen."

So hatte eine Versicherung seine Hilfsbedürftigkeit angezweifelt, weil er doch Auto fahren könne. "Ja, aber den Wagen habe ich auf eigene Kosten umrüsten lassen, weil ich ihn beruflich brauche", erklärt Schildchen bitter. Schließlich kann er bei der Volksbank als Kundenberater weiter, wenn auch nur eingeschränkt, tätig sein. Darüber ist der 58-Jährige sehr froh. Auch darüber, dass er, der keine eigene Familie hat, stets auf die Hilfe seiner Schwester und seiner Eltern Hildegard und Hermann Schildchen - beide immerhin schon über 80 - zählen kann.

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