Interview mit Claudia Wich-Reif "Bönnsch ist ein Stück Heimat"

BONN · Müssen wir uns Sorgen machen, dass die Dialekte aussterben? Am Mittwoch spricht und diskutiert darüber die Bonner Germanistik-Professorin Claudia Wich-Reif ab 18 Uhr im Alten Rathaus in der Reihe "Uni im Rathaus". Der Eintritt ist frei.

 Professorin Claudia Wich-Reif auf dem Bonner Markt, wo man diverse Dialekte hört.

Professorin Claudia Wich-Reif auf dem Bonner Markt, wo man diverse Dialekte hört.

Foto: Roland Kohls

Dialekt zu sprechen - ist das heute nicht total out?
Claudia Wich-Reif: Es kommt darauf an, wer sich wo mit wem unterhält. Im Freundes- und Bekanntenkreis wird eher eine regionale Sprachvarietät gewählt als im Gespräch mit weniger vertrauten Menschen. In ländlichen Gegenden ist Dialekt eher zu erwarten als in Ballungsgebieten. Und es kommt darauf an, in welcher Region man lebt. Je weiter im Süden, desto eher ist man auch Dialektsprecher. Das Bairische oder das Schwyzerdütsche sind noch für viele Menschen der Region die Alltagssprache.

Gibt es Dialekte, die besser als andere angesehen sind? Und warum?
Wich-Reif: Ja, Interviews und Umfragen zeigen das immer wieder. Das Institut für Demoskopie Allenbach hat 2008 ermittelt, dass Bairisch am beliebtesten ist, aber auch das norddeutsche Plattdeutsch und das Berlinische. Als am unbeliebtesten gilt das Sächsische. Vor allem anderen wird der "Klang" der Dialekte bewertet. Bei Fremdsprachen ist das ja nicht anders.

Was sagen Sie denn Eltern, die ihren Kindern unbedingt nur die prestigeträchtige Hochsprache beibringen wollen?
Wich-Reif: Das ist heute in vielen Elternhäusern so. Es ist bedauerlich, aber da sollte man nicht reinreden. Eltern sprechen mit ihren Kindern nicht möglichst standardnah, weil sie ihren Ortsdialekt nicht mögen (oft können den sowieso nur noch die Großeltern sprechen), sondern weil sie den Kindern keine Chancen verbauen wollen, etwa in der Schule, in der das geschriebene Standarddeutsch gelehrt wird.

Sind Sie eigentlich selbst mit Dialekt, mit einer "komischen Sprache" , aufgewachsen?
Wich-Reif: Ja, ich bin in Oberfranken geboren und "ko frängisch". In der Grundschule habe ich gelernt, wo man hartes und weiches "B" schreibt. Im Fränkischen wird nämlich nicht zwischen dem stimmhaften "B" und dem stimmlosen "P" lautlich differenziert, was eine Schwierigkeit beim Schreibenlernen darstellt. Während des Studiums in Bamberg habe ich mich dann immer mehr Nicht-Franken angepasst - wir wollten uns ja verstehen. Dann bin ich über Berlin und Paderborn nach Bonn gekommen.

Was leistet denn Dialekt, was die Hochsprache nicht kann?
Wich-Reif: Er schafft Nähe und Vertrautheit, er ist ein Stück Heimat. Man weiß nicht nur, wie man mit dem Gegenüber reden kann, sondern auch, was man sagen kann und was man lieber nicht sagen sollte.

Dialekte wandeln sich. Wohin geht die Entwicklung?
Wich-Reif: Dialekte unterscheiden sich eigentlich schon von Ortschaft zu Ortschaft. Die lokalen Besonderheiten gehen aber immer mehr verloren, großräumigere Kennzeichen bleiben erhalten, so im niederdeutschen und im Norden des westmitteldeutschen Sprachraums "dat", "et" und "allet". Im südlichen Rheinfränkisch, im ostmitteldeutschen und im oberdeutschen Sprachraum wäre das "das", "es" und "alles". Der Klang, die Sprachmelodie, ist eine Konstante, auch wird der Wortschatz differenziert bleiben. Man denke nur an Karneval, Fasching und Fastnacht, Berliner, Pfannkuchen und Krapfen, an reden, kallen, babbeln und schwätzen und vieles mehr.

Was ist in en Augen der Germanistin das Besondere am hiesigen Bönnsch?
Wich-Reif: Das ist vielleicht die schwierigste Frage, die Sie mir stellen. Ich nehme Monophthonge wahr, wo ich Diphthonge kenne: "ming Huus" anstelle von "mein Haus", "Jlück" anstelle von "Glück" und p im Anlaut anstelle von pf ("Pingsten"). Das ist aber auch im Kölschen so. Was etwa Bönnsch und Kölsch voneinander unterscheidet, höre ich so auf die Schnelle nicht.

Und wo wird Bönnsch noch am klarsten gesprochen? Hier auf dem Markt?
Wich-Reif: Um Bönnsch zu hören, würde ich mich neben möglichst alte Leute stellen und ihnen eine Weile zuhören. Das könnte der Markt sein, aber auch der Stammtisch in einem alteingesessenen Wirtshaus. Hier sagt man Gasthaus?

Nein, die Älteren "Wirtschaft", die Jüngeren "Kneipe". Zum Schluss bitte Hand aufs Herz: Welcher ist Ihr persönlicher Lieblingsdialekt?
Wich-Reif: Haha ..., da schwimme ich ganz mit dem Strom, das Wienerische.

Zur Person
Claudia Wich-Reif ist 45 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Söhne. Ihre Stationen: Lehramtsstudium Deutsch und Englisch, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Germanistischen Linguistik an der Uni Bamberg, Promotion dort, Wissenschaftliche Assistentin an der Freien Uni Berlin, Habilitation, Professurvertretungen an der Uni Paderborn, seit April 2009 Germanistik-Professorin an der Uni Bonn.

Hörproben im Internet:
Auch eine Aufnahme von Joseph Beuys ist dabei: Pünktlich zum Internationalen Tag der Muttersprache am 21. Februar haben die Sprachwissenschaftler des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) neue Sprachproben ins Internet gestellt. 150 Tondokumente für die Dialekte der Region sind dort zu finden.

Zu genießen sind die Proben unter: www.rheinische-landeskunde.lvr.de/Sprache/Tonarchiv

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