"Unheilige Macht" ist eine Aufarbeitung der Missbrauchsfälle des Ordens Ako-Skandal: Jesuiten-Buch nennt erstmals Täternamen

BONN · Dieses Buch ist eine Qual. Es handelt vom "Schwefelgeruch katholischen Missbrauchs", sagt Herausgeber Pater Godehard Brüntrup. Es heißt "Unheilige Macht. Der Jesuitenorden und die Missbrauchskrise", und es ist ein wichtiges Buch: Zum ersten Mal seit Bekanntwerden des Skandals im Jahr 2010 betreibt der Orden eine öffentliche Aufarbeitung.

Mögen zuvor Kommissionen, wie es im Buch heißt, bis ins Mark erschütternd zusammengetragen haben, wie 60 Jesuiten und 13 ihrer Angestellten mehr als 180 Kinder durch Gewalt fürs Leben brandmarkten. Mit diesem Buch ziehen jesuitische Herausgeber eine erste Bilanz. Fragmentarisch zwar, wie sie zugeben, ohne jeden Textbeitrag eines Täters.

Nur ein Berliner Opfer war überhaupt bereit, sich zu beteiligen. Und das Buch sei zudem unbefriedigend, was das Aloisiuskolleg (Ako) in Bad Godesberg betreffe: Es ende mit dem Stand von 2007. Trotzdem bemerkenswert, zu welchen selbstkritischen Äußerungen die Jesuiten nun öffentlich bereit sind.

Wenngleich auch Rettungsschirme für Patres gespannt werden, die heute noch zur Rechenschaft gezogen werden könnten: Die 15 Autoren schrieben "nicht die offizielle Sichtweise des Ordens", betont der Herausgeber. Sie böten nur "eine Station" auf dem Weg. Und genau da stellt sich das Ako als die noch heute blutende Wunde im Skandal heraus.

Erstmals überhaupt werden im Buch Namen genannt: Haupttäter der letzten 40 Jahre war Pater Ludger Stüper, der "nach Gutsherrenart" herrschende Ako-Internats- und Schulleiter (1974-1992) persönlich. Der 2010 Verstorbene habe seine "erotischen Begierden auf Kosten minderjähriger Schutzbefohlener" strafrechtlich relevant ausgelebt.

Es habe Schülerselbstmorde gegeben. "Ein pädophiles Himmelreich" habe der Mann aufbauen können, dessen Züge denen der in seiner Ära beschafften und heute noch vor der Ako-Kirche stehenden Jeremias-Statue so "auffällig ähnlich" seien.

Dass sein Nachfolger Pater Theo Schneider, der 2010 zurücktrat, auch bei Stüpers Nackturlauben mit "schönen Schülern" dabei war und als verantwortlicher Internatsleiter nicht einschritt, verzeichnet ein Beitrag, "der auf Wunsch der Ordensleitung mehrfach überarbeitet" wurde.

Vieles davon sei dem Orden durch Eltern- und interne Beschwerden bekannt gewesen. Aber es sei bis zum Schluss vertuscht worden. Schneider ist heute Superior der Jesuiten in Göttingen.

Im Buch steht auch seine Äußerung, dass er Pater Stüper "gewarnt habe, die Dinge nicht zu weit zu treiben". Es zieht die Parallele, dass auch am lange Jahre von Stüper und Schneider mitverantworteten Ako-pro-Seminar nicht hingeschaut wurde, was Kindern geschah.

Es zieht jedoch dann keine praktischen Konsequenzen. Alle Taten seien "durch strukturelle Faktoren begünstigt" gewesen, heißt es in dem Buch. Genau da liege "das Hardware-Problem". An die Struktur müssten die Jesuiten nun endlich ran.

"Unheilige Macht. Der Jesuitenorden und die Missbrauchskrise", Godehard Brüntrup/ Christian Her-wartz/Hermann Kügler (Herausgeber), München 2012, ist ab Ende November für 22,90 Euro im Buchhandel erhältlich.

Das sagen...
Betroffenengruppe Eckiger Tisch:
"Das Buch zeigt gute Ansätze. Die Ordensleitung schweigt aber zu Konsequenzen und schickt Subalterne vor. Es scheint, als ob der einzige direkte Artikel zum Ako nachträglich geschönt werden musste. Auch das Machtgefälle Täter/Opfer bleibt bis heute."

Betroffenengruppe Ako-pro-Seminar: "Die Jesuiten beschäftigen sich wieder einmal mit ihrer eigenen Befindlichkeit. Die Vorgänge im Ako bleiben unbewältigt. Gutachten kosten mehr als Entschädigungen. Der Hochmut der Macht schaut auf die Opfer herab und noch mehr an ihnen vorbei."

Ako-Rektor Johannes Siebner: "Das Buch ist eine Baustelle, kein Strich-drunter-Buch. Es ist ein erster öffentlicher Schritt der Reflexion aus Sicht des Ordens. Damit kann es ein weiterer Schritt sein für Aufklärung, Anerkennung und weiteren Dialog. Aus der Perspektive des Ako kommt das Buch zu früh. Wir sind noch mittendrin in der Aufklärung und warten auf den Bericht von Arnfried Bintig."

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