Rassismus in Deutschland So erleben Bonner Diskriminierung im Alltag

Bonn · Die Debatte um Rassismus in Deutschland reißt nicht ab. Reaktionen auf einen Aufruf des General-Anzeigers zeigen: Viele Migranten in Bonn und Region fühlen sich benachteiligt - und manche Deutsche auch.

 Ein Polizist kontrolliert einen Mann bei einem Polizeieinsatz mit Durchsuchungen in Berlin. Immer wieder wird der Polizei von Kritikern vorgeworfen, sie kontrolliere Personen aufgrund ihres Aussehens und ihrer Hautfarbe.

Ein Polizist kontrolliert einen Mann bei einem Polizeieinsatz mit Durchsuchungen in Berlin. Immer wieder wird der Polizei von Kritikern vorgeworfen, sie kontrolliere Personen aufgrund ihres Aussehens und ihrer Hautfarbe.

Foto: picture alliance / dpa

Ein Post im Internet sucht nach Menschen, die wegen ihrer Herkunft schon einmal diskriminiert wurden – und erhitzt die Gemüter. Die kurze Anfrage in einer Bonner Facebook-Gruppe erzeugt in den ersten 24 Stunden knapp 300 Kommentare.

Deren Großteil stammt offenbar nicht von Menschen mit Migrationshintergrund, sondern von Deutschen ohne ausländische Wurzeln: Die Zeitung sollte sich nicht um Migranten, sondern um die „Biodeutschen“ kümmern, die in Bonn ständig zu Unrecht als Nazis, Rassisten oder Kartoffeln beschimpft würden, ist der Tenor.

Dabei zeigte zuletzt mehr als ein Vorfall, dass die Diskussion über Fremdenhass in Deutschland geführt werden muss: Fußballnationalspieler Mesut Özil reagierte auf die Kritik an seinem Foto mit dem türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdogan mit Rassismusvorwürfen.

In Chemnitz rief der Tod eines 22-Jährigen demonstrierende Rechtsradikale auf den Plan, die sich sofort sicher waren: Flüchtlinge haben den Mann ermordet. Kurze Zeit später wiederholten sich die Bilder aus Chemnitz im sachsen-anhaltinischen Köthen, nachdem ein junger Mann nach einem Streit mit zwei Afghanen gestorben war.

Auf den Aufruf des GA meldeten sich viele Deutsche mit Wurzeln im Nahen Osten, auch Einwanderer aus Osteuropa waren dabei. Nicht nur einmal fiel der Satz: „Ich könnte dir tausend Geschichten erzählen.“ In einem sind sich allerdings beide Seiten einig: Alltagsdiskriminierung existiert. Auch hier in der Region.

Ausbildung zur Physiotherapeutin scheitert

Sarah Buzo (Name geändert) wollte staatlich anerkannte Physiotherapeutin werden. „Das Studium hat eigentlich super funktioniert – bis zum letzten Semester. Dann fingen die Schikanen des Dozenten an“, erinnert sich die gebürtige Bonnerin. „Aus heiterem Himmel.“

Bei einem Praktikum im Krankenhaus bewertete die Lehrkraft für das Fach „Manuelle Therapie“ ihre Leistungen als schlecht. Aus ihrer Sicht unbegründet. „Ich hatte vorher immer nur Einsen, eigentlich war ich eine vorbildliche Schülerin“, sagt die Tochter israelischer Eltern und lacht ein bisschen. Sie beschwert sich beim Direktor, dieser wiegelt ab.

Bei ihrem Zwischenexamen, einer Übung kurz vor dem Abschlussexamen, soll der Dozent ihr dann ausdrücklich gesagt haben, dass er sie nicht leiden kann. Er bewertet sie mit der Note „fünf minus“, welche Fehler sie gemacht haben soll, kann er ihr nicht sagen. Auch die Probandin der Prüfung, eine Kommilitonin, habe keine offensichtlichen Fehler erkennen können.

Die Fragen im Staatsexamen habe Buzo „locker“ beantworten können. Doch der Dozent bewertet sie mit der Note sechs. Eine fünf hätte sie mit anderen Fächern ausgleichen können, in denen sie jeweils mit eins oder zwei gestanden habe. Doch eine sechs bedeutete: durchgefallen. Dazu soll der Dozent gesagt haben: „Glaubst du allen Ernstes, ich würde dich Terroristin bestehen lassen?“

Buzo war schockiert. Eine erneute Beschwerde beim Direktor verlief im Sande, da der Dozent statt ihrer richtigen Antworten aus dem Examen erfundene falsche aufgeschrieben habe. Schlechtere Kommilitonen ohne Migrationshintergrund hätten bestanden. „Das war die Zeit, wo Isis aufkam. Vermutlich hat er einfach verallgemeinert“, sagt die 26-Jährige, die sich selbst als modern beschreibt

Dreieinhalb Jahre ist das nun her. Vor Gericht zu klagen, hat sie nie versucht: „Ich hab doch keine Zeugen.“ Theoretisch könnte sie ihr Studium in einer anderen Institution fortsetzen. „Aber meine Psyche ist so angeknackst, ich hab kein Vertrauen mehr.“ Die Angst, dass ihr Ähnliches widerfährt, ist zu groß.

Schwierige Ausbildungsplatzsuche wegen Kopftuch

Nach ihrem Realschulabschluss in der zehnten Klasse war Shadin Hadad (Name geändert) im Jahr 2013 auf der Suche nach einer Ausbildung als (zahn-)medizinische Fachangestellte. In einer Praxisklinik, in der ihre Familie oft zur Behandlung war, schien sie zunächst gute Chancen zu haben. Doch als die Tochter marokkanischer Eltern ihre Bewerbung persönlich abgab, stellten die Verantwortlichen fest, dass sie ein Kopftuch trägt. Man habe ihr gesagt, dass eine Ausbildung dort nur möglich sei, wenn sie das Kopftuch ablege.

„Das wollte ich natürlich nicht“, erinnert sich Hadad. In ihrer schriftlichen Absage nannte die Klinik das Kopftuch offen als Grund. Es mache einen schlechten Eindruck auf die Patienten und schüchtere sie ein, soll die Praxis geschrieben haben. Gegen die Entscheidung protestieren wollte Hadad nicht. „Weil ich mich geschämt habe“, gesteht die 23-Jährige.

Aber Aufgeben wollte sie auch nicht. Ihre Bewerbungen schickte sie ohne Foto, um vorurteilsfrei bewertet zu werden. Bei den Bewerbungsgesprächen sei sie dann schief angeschaut worden und habe sich „blöde Sprüche“ darüber anhören müssen, wie problematisch ihr Kopftuch doch sei. Drei Jahre dauerte es, bis sie einen Ausbildungsplatz fand.

Bonn wurde es am Ende nicht, sondern Bornheim. In ihrer Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten zeigten sich viele Patienten überrascht, dass sie fließend Deutsch spricht. „Zum Glück habe ich eine sehr liebe Chefin, die dann fragt: 'Warum auch nicht? Sie ist in Deutschland geboren.'“ Es gebe ihr viel Rückhalt, dass das Team hinter ihr stehe.

Kommentare zu ihrem Kopftuch muss sie sich immer noch gefallen lassen: Oft fragten Patienten, ob es darunter nicht heiß sei oder stellten fest, dass es ja „nicht so schön“ aussehe. Einige fragen, ob sie gezwungen wurde, es zu tragen. „Ich bleibe immer ganz sachlich und ruhig, versuche, zu erklären, dass viele Frauen es freiwillig tragen“, sagt Hadad. Am Bonner Hauptbahnhof sei sie deswegen allerdings auch schon körperlich angegangen worden.

„Man beurteilt uns, ohne mit uns gesprochen zu haben“, kritisiert sie. Wenn sie hingegen darüber spricht, stoße sie häufig auf Akzeptanz. Oft stelle sie bei den Fragestellern eine Unwissenheit fest. „Ich finde es gar nicht schlimm, wenn Leute fragen, das Schlimme ist die automatische Annahme, dass man unter dem Kopftuch doof ist. Aber darunter ist auch ein Gehirn.“

Kein Lohn in der Medienbranche

Mariana Zankova (Name geändert) kam vor sechs Jahren aus Bulgarien zum Studieren nach Köln. Mit einem Abschluss im Zweifachmaster Medien- und Kunstwissenschaft in der Tasche, ging es vor zwei Jahren auf den Arbeitsmarkt. „Da sind mir sehr schlechte Geschichten passiert, leider nicht nur eine“, fasst die 31-Jährige zusammen.

Als Texterin in einer Düsseldorfer Werbeagentur habe sie zwar positives Feedback erhalten, trotzdem habe man versucht, ihren Lohn zu mindern. Angeblich habe sie weniger gearbeitet, als sie angegeben hatte. Ihre Texte waren längst verkauft, trotzdem musste sie drei Monate auf ihr Honorar warten. „Das war superstressig für mich“, sagt Zankova. Ihre deutschen Kollegen hätten keine Probleme gehabt.

Eine Kölner Galeristin, für die sie als Publizistin gearbeitet hat, habe ihre Texte ohne ihren Namen über eine Kollegin verteilen lassen, als wäre diese die Autorin. „Als Pressemitarbeiter tritt man immer persönlich in Kontakt. Aus irgendeinem Grund sollte das bei mir nicht gelten“, kritisiert Zankova. Sie sei nicht als Ghostwriter engagiert gewesen. Am Ende habe die Galeristin ihr wegen verletzter Autorenrechte eine Entschädigung zahlen müssen. Doch das ganze Prozedere mit Anwalt sei sehr kraftzehrend gewesen.

„Als Osteuropäer in anspruchsvolleren Berufen wird man teilweise unglaublich böse angeguckt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass andere Menschen sich von mir bedroht fühlen“, sagt sie. Ihre Texte auf Deutsch, Bulgarisch und Englisch würden stets gelobt, ihre Arbeitszeugnisse sprächen jedoch eine andere Sprache. Ihre redaktionellen Ideen hätten Chefs abgelehnt und später selbst umgesetzt. „Ich spüre, dass sie sich nicht vorstellen können, dass ich tatsächlich Sachen erledigen kann und dass sie diese entsprechend vergüten müssen.“

In den Medien werde sehr viel Negatives über Osteuropäer geschrieben; sie seien arm oder billige Arbeitskräfte. „Das reflektiert auf uns als Menschen hier. Aber ich will keine billige Arbeitskraft sein“, sagt Zankova. Trotz dieser „Neidkultur“ wolle sie Deutschland nicht verlassen, dafür habe sie während ihres Studiums hier schon zu viel investiert.

Lehrer rät zum Gemüseladen statt Abitur

Vom „Gefühl, ständig nicht dazuzugehören“, kann der SPD-Politiker Ömer Kirli berichten. Als er zuletzt mit seinen türkischen Eltern und zwei Geschwistern ein Café in Siegburg besuchte, sei ein älterer Mann aufgestanden und habe dabei gemurmelt: „Hier sitze ich nicht.“ „Ich weiß nicht warum, aber ich kann mir sehr gut denken, woran es lag“, sagt das Siegburger Ratsmitglied.

Sein Vater war schockiert, Kirli habe versucht, es mit Humor zu nehmen. „Er kann ja stehen, wir sitzen“, habe er zu seiner Familie gesagt. So etwas sei ihm zum Glück zum ersten Mal passiert. Oft nehme die Ablehnung subtilere Formen an.

Das eindrücklichste Erlebnis hatte Kirli als Viertklässler, der aufs Gymnasium gehen wollte. Sein Klassenlehrer meinte hingegen, dass die Hauptschule reichen würde. Er könne eine Ausbildung zum Elektrotechniker machen – oder einen Gemüseladen eröffnen. Heute hat Kirli nicht nur Abitur, sondern auch einen Bachelor in Politik- und einen Master in Sozialwissenschaften. „Meine Biografie wäre ganz anders verlaufen, wenn ich auf meinen Lehrer gehört hätte“, ist der 29-Jährige sich sicher. Wahrscheinlich hätten viele Kinder wegen diesem ihr Potenzial verschenkt.

Rassismus sei in erster Linie kein Altersproblem, sondern beruhe oft auf einem Mangel an Kontakt mit Menschen anderer Herkunft, meint Kirli. „Ich denke, dass jüngere Menschen offener sind. Sie sind damit aufgewachsen und kommen besser damit klar, dass unser Land sich verändert“, sagt er. „Wenn man sich kennenlernt, merkt man, dass man gar nicht so unterschiedlich ist.“

Ausländersein als Vorteil nutzen

„Nicht kennen und keine Ahnung haben ist oft ein Grund für Diskriminierung“, sagt auch Peter Binner. Der Leiter einer Produktlinie beim Automobilzulieferer Boge arbeitet in einem 160 Personen starken Team mit vielen ausländischen Fachkräften. Bei der täglichen Arbeit mit Menschen aus anderen Ländern seien „Vorurteile schnell weggewischt“.

Koreaner, Russen, Türken und Vertreter vieler anderer Nationen würden bei Boge bewusst eingestellt, weil sie „native sprechen“, wie Binner es ausdrückt, also mit den internationalen Kunden in ihrer Muttersprache kommunizieren können. „Hier ist es kein Nachteil Ausländer zu sein – im Gegenteil“, berichtet der Leiter. „Ein internationales, globales Geschäft funktioniert überhaupt nur so.“

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