Vor allem in Ballungsräumen Es fehlen Tausende Wohnungen

Bonn · Der Nachfrage nach bezahlbaren Mieten versucht die Vebowag nachzukommen. Sie warnt aber vor überzogenen Erwartungen.

In vielen Großstädten trieb die Wut über die Wohnungssituation im Frühjahr Tausende Menschen auf die Straße: Unter anderem in Berlin, Dresden und Köln und protestierten Bürger gegen den "Mietwahnsinn".

Quer durch die Republik fehlt es in Ballungsräumen an Wohnraum, vor allem an bezahlbarem. Im sozialen Wohnungsbau lagen die Fertigstellungen 2017 nur bei einem Drittel des erforderlichen Bedarfs von 80.000 Wohnungen, analysieren Wissenschaftler des Wirtschaftsforschungsunternehmens Prognos anlässlich einer Studie zum Wohnungsbau-Tag 2019.

Stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten eine Stadt wie Bonn überhaupt hat, hier für Entlastung des Marktes zu sorgen. Viele Blicke richten sich dabei auf die die städtische Wohnungsbaugesellschaft Vebowag um ihren Geschäftsführer Michael Kleine-Hartlage.

Dass gerade in der Bonner Region reichlich Handlungsbedarf besteht, kann Bernhard von Grünberg, Vorsitzender Geschäftsführer des Mieterbunds Bonn/Rhein-Sieg/Ahr, mit Fakten belegen. Eine Anfrage von ihm zu statistischen Daten bei der NRW-Bank ergab: Ende 2017 gab es 10.442 sogenannte Sozialwohnungen in Bonn und 10.259 im Rhein-Sieg-Kreis.

Insbesondere die Prognose für das Jahr 2030 findet er alarmierend: Laut NRW-Bank wird es dann nur noch 6050 Förderwohnungen in Bonn geben, was einer Verringerung um 42,1 Prozent entspricht; im Kreis werden es knapp 40 Prozent weniger sein, 6180. "Wir müssten in Bonn jährlich 400 neue öffentlich geförderte Wohnungen bauen, im Rhein-Sieg-Kreis noch mehr", fordert er.

Doch die Zahl ist für Vebowag-Chef Michael Kleine-Hartlage nicht realistisch: "Bei dem langen Vorlauf, den wir brauchen, sind rund 150 neue, durch die Vebowag errichtete Wohnungen pro Jahr schon ambitioniert." Derzeit befinden sich 6340 Wohnungen im Bestand, Ende 2020 sollen 6600 sein; bei rund 5000 Wohnungen bestünden zugunsten der Stadt Bonn Mietpreis- und Belegungsbindungen.

Hinzu kämen geförderte Neubauwohnungen von dritten Investoren. Aber die Zahlen dürften mit der Nachfrage nicht Schritt halten: Allein in Bonn fehlen nach Angaben einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem vergangenen Jahr rund 23 000 bezahlbare Wohnungen.

So ist es in Bonn insbesondere der soziale Wohnungsbau, der dem Markt weiterhin erschwinglichen Wohnraum zur Verfügung stellt: Für eine 50 Quadratmeter große Wohnung, wie sie in Vebowag-Bauten typisch ist, werden rund zehn Euro inklusive Nebenkosten pro Quadratmeter fällig, rechnet Kleine-Hartlage vor: "Auf dem freien Markt ist ein Mieter inklusive Nebenkosten schnell mit rund 13 bis 15 Euro dabei."

Dass der Immobilienmarkt hochpreisig bleiben wird, steht für ihn außer Frage: "Bonn als Wirtschaftsstandort prosperiert und daher brauchen auch die Arbeitnehmer Wohnraum." Es werde auch weiter gebaut, nur leider bekäme man Grundstücke "nur zu immer exorbitanteren Preise angeboten, was sich letztendlich auch auf die Miete niederschlägt".

Warum bietet die Stadt Bonn der Vebowag nicht vorzugsweise Grundstücke an, so wie es die Stadt München vormacht? Für ein solches Verfahren wirbt der Vebowag-Chef seit Langem: "Doch die Stadt ruft Preise auf, die ich nicht bezahlen kann." Dabei könne die Stadt kaum ein besseres Geschäft machen, denn sie halte 93 Prozent der Vebowag-Anteile.

Bernhard von Grünberg, Experte des Mieterbundes, fordert Folgendes: "Wer über das übliche Maß hinaus öffentlich geförderte Wohnungen baut, muss bei Grundstücksverkäufen auch bessere Bedingungen erhalten als die Konkurrenten."

Schließlich kämen diese Wohnungen Bürgern mit unterdurchschnittlichen Einkommen zugute und schonten die Stadtkassen. Außerdem fragt er: "Wenn größere Unternehmen Wohnanlagen kaufen, um sehr gute Gewinne zu erzielen, warum kann das die Vebowag nicht?"

Dazu sagt Kleine-Hartlage grundsätzlich "Nein": "Viele Anlagen sind marode und müssten erst aufwendig saniert werden."

Außerdem würden dem Markt so keine neue Wohnung zugeführt. Was allerdings definitiv neue Wohnungen schafft: Nahverdichtungen. "Diese Strategie haben wir verstärkt im Fokus", so Kleine-Hartlage.

Ein Beispiel unter vielen: In Bad Godesberg sind 2014 beziehungsweise 2017 durch den Abriss von zusammen 32 alten Wohnungen an zwei Standorten in Rüngsdorf und Plittersdorf insgesamt 95 neue entstanden. Was aus Sicht von Bernhard von Grünberg noch den Grundstücksmarkt entlasten könnte: "Alle für den Wohnungsbau geeigneten Grundstücke müssen überprüft werden."

Etwa das Land, die Stadt, die Bundesbahn und die Bundeswehr hätten zum Teil große Flächen in Bonn noch aus Bundeshauptstadtzeiten.

Ungeachtet noch so kreativer Strategien steht für Kleine-Hartlage fest: "Die Vebowag alleine wird den Wohnungsnotstand nicht beheben können." Vor allem auch, weil in den nächsten Jahren ein "erhebliches Nachfragepotenzial" auf die Kommunen zukomme: "Dann werden die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen."

Viele von ihnen hätten nur eine Durchschnittsrente von rund 900 Euro zur Verfügung. Auch immer mehr Single-Haushalte würden den Markt belasten. Aus Sicht der Stadt ist die Situation schwierig, so beispielsweise was den Bestand an geförderten Wohnungen angeht: "In Bonn sind in den letzten Jahren viele Wohnungen aufgrund planmäßiger und nicht zu verhindernder außerplanmäßiger Rückzahlungen der Förderdarlehen aus der Bindung gefallen, und es ist leider nicht damit zu rechnen, dass dieser Trend nachlässt", erklärt Stefanie Zießnitz vom Presseamt.

"Verschärft wird die Entwicklung dadurch, dass es trotz sehr guter Förderkonditionen enorm schwer ist, Investoren für die Errichtung von geförderten Wohnungen zu gewinnen."

Schließlich würden die Rahmenbedingungen das Bauen im freifinanzierten Bereich "immer noch lukrativer machen". Lege man grobe Schätzwerte für die sich zurzeit in Bearbeitung befindlichen oder geplanten Bebauungspläne zugrunde, welche 2019 und 2020 rechtsgültig werden sollen, so die Mitarbeiterin des Presseamtes, "könnten Planungsrecht und Genehmigungsgrundlage für zirka 700 geförderte Wohnungen durch das Bonner Bauland geschaffen werden".

Das Bonner Bauland-Modell will Investoren stärker in die Pflicht nehmen, günstigen Wohnraum zu schaffen. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass die Anzahl an geförderten Wohnungen in erheblichem Ausmaß gesteigert werden kann. Das hänge unter anderem damit zusammen, dass im Innenbereich für Baugebiete nur wenig Fläche zur Verfügung stehe.

Deshalb setze die Verwaltung verstärkt auf die Innenentwicklung und Baulandaktivierung.

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