Drink des Sommers Wer hat, wer will Wermut?

Bonn · Nicht nur als Zutat von Martini hat der aromatisierte Wein seinen Weg zurück in die Bar geschafft.

Er durfte es. Weil an ihm einfach alles hipp und sexy aussah, immer. Egal ob in seiner Haut nun Sean Connery oder Daniel Craig steckte: Wenn James Bond seinen Martini geschüttelt, nicht gerührt, bestellte, dann klang das cooler als Eis, prickelnder als Champagner und härter als Whisky. Dabei war Martini, anders als Bond, in den letzten Jahrzehnten eher ein Auslaufmodell. Der Cocktail aus Gin – oder in Bonds Fall Wodka – und Vermouth, das klang nach einer biederen Ära, als die Hausfrau noch hochtoupiertes Haar trug und dem erschöpft heimkehrenden Ehemann einen Drink reichte. Heute würde man sich eher im Straßencafé oder in einer Szenebar treffen und Aperol Spritz oder Hugo bestellen. Halt, stopp, war das nicht letztes oder gar vorletztes Jahr? Heute, eben genau heute, würde man sich eher im Straßencafé oder in einer Bar treffen – und wieder einen Martini bestellen. Oder einfach nur einen Vermouth on the rocks. Vermouth ist das angesagte Getränk dieses Sommers.

Wermut oder Vermouth – beides ist dasselbe, Vermouth geht zurück auf den Versuch der Franzosen, das deutsche Wort Wermut auszusprechen. Vermouth ist der Oberbegriff für aufgespritete Weine (zwischen 15 bis 19 Volumenprozent Alkohol), die mit Kräutern aromatisiert und anschließend vorwiegend mit Traubenmost gesüßt werden. Das Wermutkraut (Artemisia absinthium) mit seinen bitteren Aromenstoffen spielt dabei fast immer eine Rolle, aber die weitere Mischung kann durchaus unterschiedlich ausfallen und durch Rinden, Blüten, Schalen oder Früchte ergänzt werden. Manche Produzenten nehmen als Grundlage Weißwein, andere Rotwein.

Ganz neu ist die Erfindung ja nicht. Schon die Römer haben ihre Weine aromatisiert, vermutlich um muffige fehlerhafte Noten zu überdecken, und hinterher gesüßt, um sie trinkbarer zu machen. Aber die Geschichte des Vermouth im eigentlichen Sinn begann erst 1786 im italienischen Turin. Giuseppe Benedetto Carpano arbeitete damals im Spirituosengeschäft von Signor Marendazzo und experimentierte mit Weinlikören. Seine Vorstellung war es, ein Getränk zu kreieren, das den Damen besser schmecken sollte als herber Rotwein. Als Grundlage nahm er dafür einen aromatischen Moscato-Wein, gab Alkohol und Zucker dazu und ließ darin um die 30 Gewürze mazerieren. Überliefert ist, dass schon zu diesem Ur-Rezept Wermutkraut und Zimt gehörten. Anschließend süßte Carpano sein Getränk mit Karamell, was ihm zusätzlich einen rotbraunen Farbton verlieh. Seine Kreation hatte einschlagenden Erfolg in der Turiner Gesellschaft. Noch heute gehört der „Carpano Antica Formula“ zu den Klassikern unter den Vermouths.

Bald schon kamen auch die Franzosen auf den Geschmack, allerdings in einer eigenen trockeneren Interpretation. 1813 kreierte Joseph Noilly einen Stil, der sich als Dry Vermouth oder französischer Vermouth im Gegensatz zum süßeren italienischen etablierte. Auch ihm war großer Erfolg beschert: 1855 gründete Noillys Sohn Louis zusammen mit seinem Schwager Claudius Prat das Vermouth produzierende Unternehmen Noilly Prat in dem hübschen südfranzösischen Ort Marseillan, das bis heute „Noilly Prat“ vorwiegend auf Basis der weißen Rebsorten Clairette und Picpoul herstellt. Noilly Prat wurde schon früh nicht nur in Mixgetränken eingesetzt, sondern fand seinen Weg auch als Zutat in Soßen für Meeresfrüchte oder zum Abschmecken in Fischsuppen.

Bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts fehlte Vermouth in keiner gut sortierten Bar: Er verleiht Martini, Americano, Manhattan, Negroni und vielen anderen Cocktails einen typischen leicht würzigen und bitteren Geschmack. Insgesamt 194 verschiedene Drinks, in die trockener oder süßer Vermouth gehört, listet „The Ultimate A-To-Z Bar Guide“ von Sharon Tyler Herbst auf. Allerdings rückte das Getränk selbst immer mehr in den Hintergrund, verschwand zuletzt fast verschämt hinter einer populären Front aus Single Malts oder neuer Kreationen von Gin. Bis jetzt.

Wer ihn genau wieder hervorgeholt hat, ist nicht ganz klar. Denn plötzlich ist Vermouth nicht nur erklärter Liebling amerikanischer Barkeeper, sondern erlebt auch hierzulande einen Boom. Belsazar ist beispielsweise ein Berliner Start-up. Maximilian Wagner, Sebastian Brack und Philipp Schladerer stellen bei ihrem Gemeinschaftsprojekt vier Vermouth-Sorten her: Dry, Red, Rosé und White, verwenden ausschließlich südbadische Weine vom Kaiserstuhl und dem Markgräflerland, aufgespritet und produziert wird in der Schwarzwälder Hausbrennerei Schladerer, deren Obstbrände dabei zum Einsatz kommen. An der Saar kam Winzerin Dorothee Zilliken zusammen mit Distiller Andreas Vallendar auf die Idee, ein paar Fässer des letztjährigen Riesling-Jahrgangs mit regionalen Kräutern und Blüten anzusetzen – und mit Ferdinand einen Vermouth mit Leichtigkeit und Eleganz zu produzieren.

Ob Pontica Red Vermouth aus Österreich, Macchia Vermouth Mediterraneo aus Italien oder die drei von Nordesia aus dem spanischen Galicien: Die Auswahl ist inzwischen groß – und die Qualität erstaunlich. Nordesia schwört auf sein Destillat aus der weißen Rebsorte Albarino, in dem rund 20 „Botanicals“ 30 Tage lang mazeriert werden, darunter Rosmarin, Thymian, Lorbeer, Wacholder, Anis, Muskat, Orangenschale, Zimt und Vanille. Warum überhaupt noch Wodka dazu geben? Tonic, Eis und etwas Zitronenschale – fertig ist der Drink. Vielleicht kommt irgendwann auch noch James Bond auf den Geschmack.

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