Permakultur im Weinbau Reiner Wein

Bonn · Permakultur schafft Lebensräume, die sich selbst regulieren und erhalten. Die Winzer Benedikt Baltes vom Weingut Stadt Klingenberg und Ronald Linder vom Winzerhof Linder am Kaiserstuhl haben in ihren Weinbergen so einen ganz natürlichen Kreislauf geschaffen.

 Kostprobe: Benedikt Baltes schnuppert am Spätburgunder während der Gärung

Kostprobe: Benedikt Baltes schnuppert am Spätburgunder während der Gärung

Foto: Andreas Durst

Weiß, Rot, Rosé – und zuletzt viel Grün. Das Angebot an Wein ist in den letzten Jahren immer bunter geworden. Wobei man bei Grün noch etliche Nuancen unterscheiden muss: Vegan scheint ja seit kurzem überhaupt der Großteil der Weine zu sein. Da gibt es dann noch die Biowinzer, die auf chemische Mittel zur Düngung und zum Spritzen verzichten. Die Biodynamiker gehen noch einen Schritt weiter, arbeiten im Weinberg nur mit energetisierten Präparaten aus Mist oder Quarz und orientieren sich an den Mondphasen. Jetzt taucht noch ein neuer Begriff auf: Wein aus der Permakultur. Er ist es wert, ihn kennenzulernen.

Permakultur versteht die Natur als ein sich selbst regulierendes System. „Permanent agriculture“ – das steht nicht nur für nachhaltige Landwirtschaft, sondern es geht darum, Landwirtschaft in einen kontinuierlichen und natürlichen Kreislauf zu versetzen. Die Idee ist es, so Winzer Benedikt Baltes aus Klingenberg, „einen beständigen Kreislauf zu schaffen, in den man selbst nicht oft eingreifen muss und der sich selbst erneuert“.

Die Natur arbeit dabei wie eine Art automatisches Uhrwerk: Erst das richtige Ineinandergreifen allen einzelnen Elemente führt dazu, dass es funktioniert. Deshalb muss Permakultur in Zusammenhängen und Wechselwirkungen denken, um dieses dauerhafte, sich selbst erhaltende und selbst regulierende kultivierte Ökosystem in Gang zu halten. Das Leben soll dabei in all seiner ganzen Vielfalt gefördert werden, sagt der Australier Bill Mollison, einer der Begründer der Permakultur. In permakulturell konzeptionierten Lebensräumen sollen Menschen, Tiere und Pflanzen dann harmonisch miteinander leben.

Praktisch sieht das in dem sturzsteilen Schlossberg von Benedikt Baltes‘ Weingut Stadt Klingenberg so aus: Von Winzer gepflanzte Weiden markieren die natürliche Grenze als Lebendzäune, sie schützen auch vor Wildverbiss. Ihre Triebe liefern das Material zum Anbinden der jungen Reben, die Baltes in Buschform erzieht. Alle anderen artfremden Unterstützungselemente aus Kunststoff oder Metall, die zuvor als Anker, Draht oder Pfähle gedient haben, hat er aus dem Weinberg verbannt.

Nur geringer maschineller Einsatz

Auf 1,20 Meter Höhe muss die Trauben- und Blattzone allerdings sitzen, denn die verfressenen Schafe, die dort leben, um die Begrünung zwischen den Rebzeilen abzufuttern, würden sich sonst zwischendurch ein paar reife Früchtchen gönnen. Praktischerweise düngen die Tiere den Boden auf natürlichem Wege gleich vor Ort. Selbst auf kupferhaltige Spritzmittel gegen den falschen Mehltau, wie sie sogar beim biodynamischen Weinbau zugelassen sind, verzichtet Benedikt Baltes, weil die Schafe darauf empfindlich reagieren. Und zum Glück schmecken ihnen auch die Brennnesseln nicht, die Baltes erntet und zu einem Sud verarbeitet, den er als Pflanzenstärkungsmittel wieder ausbringt. Der Weinberg als Kreislauf – wenn sein Portugieser das Resultat aus dieser natürlichen Harmonie ist, dann lohnt der Aufwand: schön duftig und würzig, mit Noten von Veilchen und blauen Beeren, im Geschmack von animierender Leichtigkeit, sehr klar, sehr ehrlich, sehr direkt. Ein Trinkvergnügen.

Erst der Gedanke, eine Permakultur zu schaffen, hat Mediengestalter und Filmer Ronald Linder zurück an den heimischen Winzerhof Linder in Endingen am Kaiserstuhl gelockt. Das kleine Weingut mit seinen vier Hektar bot ihm die Grundlage, den Versuch einzugehen, Leben und Arbeit von Mensch und Tier in Einklang zu bringen – und einen maschinellen Beitrag so weit wie möglich auszuschließen.

Er entschied sich für Heidschnucken, eine „geländegängige“ Schafrasse, um seine Weinberge quasi zu mähen, die steilen Böschungen abzufressen und zugleich auch noch auf natürliche Weise den Boden zu düngen. Wobei er heute vermutlich Zwergschafe wählen würde, die kommen nicht so leicht an die reifen Trauben heran. Zur Behandlung von Boden und Pflanzen nutzt Linder nur biodynamische Präparate (nach den Vorgaben des Anthroposophen Rudolf Steiner) und eigene Tinkturen aus lokalen Pflanzen wie beispielsweise einen Brennnessel-Efeu-Sud.

Die Veränderungen sieht Linder tagtäglich an der Natur. Der Boden hat wieder zu leben begonnen. Nach dem Stickstoffentzug ist er nicht ausgehungert, sondern wurde wieder natürlicher Lebensraum für Regenwürmer, Mistkäfer und Asseln. Linder hat eine ganz bewusste Auswahl von Kräutern angepflanzt: Lavendelstöcke, um Fliegen zu vertreiben, Pfefferminze, Knoblauch und Zwiebeln, um Mehltau zu vermeiden. Die Schafe machen den Weinbau wirtschaftlich überlebensfähig, in dem sie die Arbeit quasi erledigen und auch noch Wolle, Fleisch und Wurst zum Ertrag beisteuern.

Vor allem aber haben sich die Trauben und letztlich auch der Wein verändert. Die Früchte sind jetzt viel weniger anfällig für Krankheiten, die Schalen sind dicker und damit die Saftausbeute zwar geringer, aber das Endergebnis, der Wein, schmeckt harmonischer, ist nicht mehr so säurebetont und bringt eine nachvollziehbare Länge mit.

„Ich könnte mir heute nichts anderes mehr vorstellen“, sagt Linder. Seine Arbeit wurde sein Leben. „Und wer als Winzer nicht für seine Arbeit lebt, sollte besser gleich aufhören und Kraftfahrer werden.“

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