Wein-Porträts von der Saar Landschaft mit Winzern

Bestandsaufnahme einer Weinregion: Die Saar gibt zwar den stilistischen Rahmen für den Riesling vor, lässt aber auch Spielraum für Interpretationen.

Man wird an der Saar geboren, wächst hier auf – und nimmt so die Bedingungen als naturgegeben an. „Alles passt und gehört hier zusammen“, sagt Christiane Wagner, die in der fünften Generation das Familienweingut Dr. Wagner in Saarburg leitet: „Weinberge, Keller, Haus.“ Das Haus ist ein bildhübsches denkmalgeschütztes Anwesen neben dem Saarburger Bahnhof. Den alten Keller darunter betreibt sie als Ein-Frau-Unternehmen, arbeitet dort ganz traditionell mit Fudern, großen Holzfässern, so wie schon der Vater vor ihr. Und an das Kraxeln zwischen ihren Rebstöcken in der sturzsteilen Lage des Saarburger Rausch ist sie ohnehin gewohnt. Einzig das Ergebnis zählt: die schlanken, ausgeglichenen Rieslinge, die dort entstehen. Christiane betrachtet ihre Arbeit mehr als Bestandssicherung denn als Selbstverwirklichung.

So wie Dorothee Zilliken. Es tröpfelt ständig bei ihr im Keller, der ebenfalls mitten in Saarburg liegt. Beharrlich bahnt sich das Wasser immer wieder denselben Weg und hat so im Laufe von Jahrzehnten seine Mineralstoffe zu kleinen Stalaktiten werden lassen. Tausende dieser winzigen blassen Zapfen wuchern im Halbdunkel von der Decke. Neun Meter tief unter der Erde – hier hat sich kaum etwas verändert, seit ihr Großvater und dann ihr Vater Hanno Zilliken Wein gemacht haben, und es wird sich auch nichts ändern, wenn Tochter Dorothee einmal ganz übernimmt. „Warum sollte es?“, fragt sie. „Vater und ich folgen den gleichen Wein-Idealen: elegant, animierend, ausdrucksstark.“ Entscheidungen trifft man hier familiendemokratisch. Und entsprechend harmonisch fallen auch die Weine aus. Das Familienidyll trügt nicht. Hier an der Saar ruft die jüngere Generation der Winzer nicht zur Revolution auf, sondern zur friedlichen Weiterentwicklung des Bestands. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft: Sie finden zusammen zu einem großen, generationsübergreifenden Porträt einer Weinregion. Es ist eine überschaubare Szene mit 768 Hektar in idyllischer Landschaft, die sich – an der Luftlinie gemessen – über rund zwölf Kilometer von Serrig bis Konz, von Süden nach Norden, erstreckt, wo der Fluss in die Mosel mündet.

Das Saartal liegt etwa 100 Meter höher als die Mosel. Dementsprechend kühler ist es hier. Entlang der steilen Lagen mit den kargen grauen Schieferböden herrschen Grenzbedingungen für den Weinbau, die in den besten Jahren für eine einzigartige Charakteristik sorgen: kühl, schlank, elegant, von kristallklarer Frische – und mit faszinierender Säure, die eine salzig-mineralische Spur hinterlässt. So eng fasst das Saartal die individuellen Interpretationsmöglichkeiten der Winzer, dass sie aus dem durch die Natur vorgegebenen stilistischen Rahmen kaum auszubrechen vermögen.

Deshalb liegen selbst die Gegensätze an der Saar eng beieinander. An dem einen Ende der deutsche Klassiker schlechthin: das Weingut Egon Müller Scharzhof mit seinen wunderbar anachronistischen Preziosen, die eigentlich zum Weinkulturerbe erhoben werden sollten. Die Zeit scheint stehen geblieben in dem herrlich altmodischen Anwesen am Ortsrand von Wiltingen. In der Bibliothek stehen noch die abgegriffenen ledergebundenen Werke, die Egon Müller III gesammelt und gelesen hat. Egon Müller IV hat hier kaum etwas verändert, seit er von seinem Vater 1989 die Leitung des Weinguts übernommen hat. „Naja“, sagt der Vierte auf seine sympathisch bescheidene Art, „zumindest nicht am Stil des Weins.“

Die stilistische Gegenposition im Saartal nimmt Roman „Niewo“ Niewodniczanski vom Weingut Van Volxem in Wiltingen ein, das der Spross aus der Bitburger-Bier-Dynastie 1999 erworben hatte mit der Absicht, alles anders, besser zu machen. Heute spiegeln auch seine Weine ein Geschmacksbild der Saarregion wider, wenn auch ein erheblich radikaleres.

Niewos zwei Meter sechs große imposante Erscheinung birst vor Energie, er lebt und spricht doppelt so schnell als jeder andere. Eine Antwort hat er schon parat, bevor überhaupt die Frage formuliert ist: eine Getränkekarte vom Hotel Ritz-Carlton in New York aus dem Jahr 1934. Sie beweist: „Die Weine von der Saar waren teurer als die von Château Lafite.“ Das möchte er mit seinen Weinen auch gern wieder erreichen. Fielen diese in den ersten Jahren noch fast barock aus, setzt er heute ganz auf einen delikaten Stil, der mit Kargheit und Strenge den skelettreichen Boden seiner Herkunft reflektiert.

Ähnliche Ansätze lassen sich auch bei Florian Lauer vom Weingut Peter Lauer ausmachen. Der 35-Jährige ist vor zehn Jahren im Weingut seines Vaters in Ayl eingestiegen. In der modernen Vinothek mitten im Örtchen würdigt er mit einer Art Ahnengalerie seine Vorfahren, und er sagt auch, dass er seinem Vater und „dessen Weitblick nach hinten“, also dem Wissen über die früheren Jahrgänge, viel verdankt. Aber der junge Winzer geht dabei durchaus auch seinen eigenen Weg: Gegen Süße hat Lauer nichts, aber sie darf auf keinen Fall das hochkomplexe Terroir zukleistern, das man in seinen Weinen nachvollziehen können muss.

Obwohl das Weingut Sankt Urbans-Hof von Nik Weis in Leiwen an der Mosel zu Hause ist, liegen rund 20 seiner 35 Hektar an der Saar. „Wenn Riesling der Sportwagen unter den Weißweinen ist, dann sind die Saarrieslinge die Formel eins“, erklärt Weis seine Vorliebe für die anspruchsvolle Region. „An der Saar“, sagt Nik Weis, „kann Riesling seine Stärken am besten zur Schau stellen.“

Die Weine von Maximilian von Kunow vom Weingut von Hövel in Oberemmel fallen im Vergleich kontemplativer aus. Oder ist dies nur ein suggestiver Eindruck nach einem Besuch im Keller des Weinguts, einem fast schon magischen Ort, dessen 1200 Jahre altes Gewölbe sich auf baumstammdicke Säulen stützt? Max von Kunow ist überzeugt, dass dieser Keller Bestandteil des umfassenden Begriffs „Terroir“ ist: „Er hinterlässt einen mikrobiologischen Fingerabdruck im Wein.“ Genauso wie die schier unerschöpfliche Energie und Leidenschaft von Max von Kunow, die sich gebieterischer in den Weinen spiegelt. Aber das genau ist gerade das Schöne an der Saar, sagt Max: „Wir sind einander so nah, und doch ist jeder ganz anders.“

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