Klimafreundliche Lebensführung Nachhaltiges Wohnen im Fokus

BONN · Von Genossenschaft bis Fortbewegung: Experten aus der Region plädieren für ein Umdenken bei der Lebensführung und verweisen auf beispielhafte Projekte.

Wohnen für Hilfe: Studierende leben mietfrei bei älteren Menschen und helfen ihnen dafür im Alltag. Auch das ist ein Beispiel für Nachhaltigkeit, weil es Ressourcen schont.

Wohnen für Hilfe: Studierende leben mietfrei bei älteren Menschen und helfen ihnen dafür im Alltag. Auch das ist ein Beispiel für Nachhaltigkeit, weil es Ressourcen schont.

Foto: Stock Adobe

Es fehlt nicht an Stimmen, die eine gesellschaftliche Änderung der Lebensführung anmahnen; dazu gehört auch, wozu auch das Wohnen gehört. Ein bekannter Mahner ist dabei der Postwachstumsökonom und Nachhaltigkeitsforscher Niko Paech, der etwa für ein „Raus aus dem Konsumburnout“ plädiert. Bei einer Veranstaltung im vergangenen Jahr in der Bonner Uni zitierte ihn der Verein „Bonn im Wandel“ so: „Wer sich zu viel nimmt, verursacht auch ein soziales Problem.“ (https://bonnimwandel.de/postwachstumsoekonom-niko-paech-raus-aus-dem-konsumburnout/)

Laut Paech, der an der Siegener Universität lehrt, beansprucht Deutschland nach wie vor ein viel zu großes Stück vom globalen Ressourcen-Kuchen. Darum lautet sein Plädoyer: „Wir müssen die Nutzungsdauer von Dingen verlängern. Regionale Produktionsketten, die der Wartung, Reparatur, Renovierung, Produktion und Verarbeitung dienen, müssen wieder gestärkt werden.“ Lange globale Produktionsketten müssten zurückgebaut werden. Wer weniger verbrauche, weil er Dinge länger nutze oder teile, benötige weniger Geld und müsse damit auch weniger Lebenszeit in Lohnarbeit investieren.

Vortragsreihe der VHS Bonn

Zu seinem Werben für Nachhaltigkeit passt eine Vortragsreihe der VHS Bonn unter dem Titel „Nachhaltiger Konsum und Produktionsmuster“ (www.vhs-bonn.de). Einen Vortrag wird Kathleen Battke am Montag, 24. September, über „Nachhaltig Wohnen“ halten. Veranstaltungsort ist die Amaryllis eG, eine Wohngenossenschaft mit rund 60 Menschen jedes Alters in Vilich-Müldorf. Battke weiß worüber sie spricht: Seit 2009 lebt die Sprach- und Medienwissenschaftlerin in der Amaryllis eG und hat sich intensiv mit genossenschaftlichem Wohnen beschäftigt. Neben Amaryllis haben noch eine Reihe weiterer Projekte Modellcharakter und machen vor, wie „nachhaltiges Wohnen“ funktionieren kann.

Das von Nachhaltigkeitsforscher Paesch geforderte gesellschaftliche Teilen ist beim genossenschaftlichen Wohnen Dreh- und Angelpunkt, betont Battke. „Die Genossenschaftsidee erweist sich als dynamisch und einflussreich und eröffnet weniger privilegierten Bevölkerungsschichten neue Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe“, zitiert Battke aus der Begründung der Unesco.

Die hatte 2016 die Genossenschaftsidee offiziell zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Battke: „Es ist wirtschaftlich nachhaltig, da es eine solidarische Form des Wohnens ist.“ Pro Mitglied gebe es eine Stimme, auch bei unterschiedlicher finanzieller Beteiligung. Ökonomische Schwankungen könnten durch das Kollektiv besser aufgefangen werden, zudem reduziere das gemeinschaftliche Nutzen von Räumen, Fahrzeugen, und Haushaltsgeräten die Kosten für den Einzelnen. Genossenschaftliches Wohnen ist nach Battkes Ansicht ökologisch nachhaltig: „Durch Carsharing reduzieren wir nicht nur Verkehr und Umweltverschmutzung, sondern haben auch mehr Grünflächen für Erholung und Gemüseanbau.“ Beispielsweise gebe es bei Amaryllis 16 statt 33 Parkplätze. Auch eine ökologische Bauweise werde begünstigt.

Gemeinschaftliches Wohnen ist sozial nachhaltig

Gemeinschaftliches Wohnen sei vor allem sozial nachhaltig, „weil die Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung und Hilfe ist für alle Generationen entlastend wirkt“. So werde Vereinsamung und sozialer Isolation vorgebeugt, ferner die eigene Sozialkompetenz gestärkt.

Auch in Bonn gibt es eine Reihe weiterer Beispiele für nachhaltige Wohnformen. So das Projekt des Allgemeinen Studierendenausschusses der Universität Bonn (Asta), das sich „Wohnen für Hilfe“ (WfH) nennt (www.wohnenfuerhilfe.info). Studierende, die Wohnraum suchen, aber dafür keine Miete zahlen können, werden mit Menschen zusammen gebracht, die über freie Wohnkapazitäten verfügen und sich Unterstützung wünschen.

Die Regeln klingen einfach: Studenten, denen eine Wohnung oder ein Zimmer vermietet wird, müssen dafür pro Quadratmeter Wohnraum ihrem Vermieter eine Stunde Unterstützung im Monat anbieten, Pflegeleistungen sind ausgeschlossen. „Die Erfahrungen sind sehr positiv, die Nachfrage von den Studenten war von Beginn an sehr gut“, erklärt Lilian Brandt, die das Projekt beim Asta betreut. Die Anmeldungen stiegen jährlich „und damit die Vermittlungen“. Brandt bekräftigt dass „WfH“ nicht als reine Zimmervermittlung gesehen werden dürfe: „Hier zählt in erster Linie, dass die Chemie zwischen Student (Mieter) und Vermieter stimmt.“

Auch über die Region Bonn hinaus gibt es ambitionierte Vorhaben. Etwa das experimentelle Projekt „Klimaneutral leben in Berlin“, kurz KliB. Hundert Haushalte in Berlin sowie Unternehmens- und NGO-Partner sollen innerhalb eines Jahres ihren CO2-Fußabdruck reduzieren. Und zwar mit Hilfe von Beratungsangeboten zu den unterschiedlichsten Lebens- und Wohnbereichen. Vor allem ein kontinuierliches Feedback über die Fortschritte „durch einen CO2-Tracker ist Pflicht“, erklärt Projektleiter Fritz Reusswig vom Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). KliB wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) gefördert. Das Forschungsvorhaben endet 2018.

CO2-Ausstoß reduzieren

Ziel sei es, den durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 11,5 Tonnen pro Jahr und Kopf um 40 Prozent zu reduzieren, so Reusswig. Zwar ist das Versuchsjahr noch nicht beendet, doch fast 20 Prozent CO2 konnten bereits im Schnitt pro Kopf eingespart werden. Reusswig bewertet das Experiment bislang als Erfolg und „Beleg dafür, dass Bürger etwas tun können“. Daher kann er sich das Projekt durchaus auch als Blaupause für andere Städte wie Bonn vorstellen. Allerdings betont der Wissenschaftler, „dass irgendwann das Ende der Fahnenstange bei dem persönlichen CO2-Einsparpotenzial erreicht ist.“ Dann müsse die Politik „Rahmenbedingungen verändern“.

Aus Sicht von Celia Schütze, Geschäftsführerin der Bonner Energie Agentur (BEA), werden nachhaltige Wohnformen angesichts wachsender gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen immer wichtiger. „Normalerweise schauen wir uns nur das Gebäude an und seine Technik.“ Aber allein dieser Blickwinkel reiche nicht. „Für das große Ziel, den Klimaschutz, ist es genauso wichtig, wie das Haus eigentlich genutzt wird und was drum herum passiert.“ Ein mäßig effizientes Haus stehe umso besser da, je mehr Personen darin wohnten. Ein energieeffizientes Haus nützt nicht viel, wenn man dafür weit mit dem Auto fahren muss. Bei dieser Betrachtungsweise geht es laut Schütz darum, „mehrere Aspekte des Klimaschutzes einzubeziehen und darum, wie hoch eigentlich unser CO2-Fußabdruck pro Person ist“.

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